„12.Dezember 1930, an meinen unglücklichen Nachfolger“
So beginnt der Brief, den
Professor Rossi hinterlässt, als er spurlos verschwindet. Dieser Brief und noch
einige weitere, werden von seinem Studenten Paul gefunden. Paul schreibt an
seiner Doktorarbeit über holländische Kaufleute des 17. Jahrhunderts, Rossi ist
sein Doktorvater, Mentor und Freund. Als dieser plötzlich verschwindet , macht
sich Paul auf die Suche nach ihm. Diese Suche führt ihn nach Frankreich,
Rumänien, Ungarn, in die Türkei und nach Bulgarien. Begleitet wird er dabei von
Helen Rossi. Sie ist die uneheliche Tochter des Professors, zu der er sich nie
bekannt hat. Dementsprechend ist die Abneigung der jungen Frau gegenüber dem
Manne, der ihre Mutter im Stich gelassen hat, sehr groß. Sie kann die
Bewunderung Pauls für Rossi nicht verstehen, doch je länger sie auf seinen
Spuren wandeln und je mehr sie aus den hinterlassenen Briefen über ihn erfährt,
desto mehr offenbart sich, was für ein Mensch er war.
Die Geschichte von Paul und
Helen spielt in den 50er Jahren. Als Paul eines Tages ebenfalls verschwindet,
macht sie seine Tochter auf den Weg, ihn zu finden. Es sind die 70er Jahre. Das
Mädchen ist sehr behütet in einer Amsterdamer Klosterschule aufgewachsen und weiß
nichts von der wirklichen Welt. Allerdings hat sie ihren Vater oft auf seinen
diplomatischen Reisen begleitet und sie ist sich sicher, ihn zu finden zu können.
Drei Jahrzehnte, drei Reisen,
alle miteinander verbunden durch Vlad III, genannt Dracula.
Kommentar:
Das Buch ist ein Softcover mit
über 800 Seiten und es kostet Zeit, es zu lesen. Die Autorin schreibt, dass sie
zehn Jahre recherchiert hat, bevor sie diesen Roman geschrieben hat und das ist
der Geschichte anzumerken. Sie ist voll von historischen Fakten, die bisweilen sehr
ausufernd sind, nichtsdestotrotz haben sie mich gefesselt.
Rossi kommt als junger Mann
nach Rumänien. Er möchte mehr über den Ursprung des walachischen Herrschers
Vlad III erfahren, der jahrelang den Osmanen trotzen konnte und von dem erzählt
wird, dass er nie wirklich gestorben ist. In Rumänien lernt er eine junge Frau
kennen und lieben. Aus dieser Beziehung geht Helen hervor. Obwohl er deren
Mutter verspricht, nach vier Wochen zu ihr zurückzukehren und sie zu heiraten,
verschwindet er aus ihrem Leben, nicht wissend, dass die junge Frau ein Kind in
sich trägt. Später leugnet er, jemals in Rumänien gewesen zu sein oder diese
Frau zu kennen, das Kind erkennt er nicht an. Dementsprechend wütend ist Helen
auf ihren Vater, dessen Werdegang sie verfolgt. Sie möchte besser sein als er
und widmet ihre Studien ähnlichen Themen wie er, begibt sich dadurch aber in
die gleiche Gefahr. Dracula wird auf sie aufmerksam.
In der Türkei begegnen Helen
und Paul Turgut Bora und Selim Aksoy, beide haben sich der Suche nach Dracula
verpflichtet, die Geißel der Osmanen. Zu viert finden sie immer mehr über den
grausamen Fürsten heraus. Ein bewundernswerter, imponierender aber auch sehr
grausamer Mann, der starke Fußabdrücke in der Geschichte hinterlassen hat.
Diese Männer verbindet alle
eins: Ein Buch, in dessen Mitte sich das Bildnis eines Drachen befindet. Ein
Buch, von dem sie nicht wissen, wo es herkommt, dass einfach ihrem Schreibtisch
platziert war. Im Laufe der Geschichte finden sich fünf solcher Bücher und alle
Menschen, die eines finden, sind auf irgendeine Art und Weise mit der Suche
nach dem Grab Draculas beschäftigt.
Pauls Tochter findet die
Briefe ihres Vaters, die er ihrer Mutter Helen geschrieben hat. Das Mädchen
kann sich nicht an ihre Mutter erinnern, diese verschwand, als das Mädchen noch
ein Baby war.
So entfalte sich die
Geschichte in Briefen, geschrieben 1930, 1954, die Tochter blickt aus dem Jahr
1972 zurück auf diese Ereignisse.
Man muss bedenken, dass in den
50er Jahren der kalte Krieg herrschte. Eine Reise in den Ostblock war nicht
einfach, man brauchte Geld und Beziehungen, um nach Rumänien oder Ungarn reisen
zu können. Zum Glück hat Helens Tante Beziehungen und kann ihnen eine
Genehmigung für Ungarn besorgen, wo Helens Mutter mittlerweile lebt. Sie ist
es, die Helen die Briefe Rossis übergibt, aus den wir die Einzelheiten aus den
30er Jahren erfahren. Rossi hat diese Briefe in Rumänien verloren und Helens
Mutter hat sie aufbewahrt, ohne ihren Inhalt zu kennen, da sie des englischen
nicht mächtig war. So hat sie nie erfahren, wie tief Rossi Liebe zu ihr war und
dass er auf jeden Fall zu ihr zurückkehren wollte.
Ich liebe Dracula von Bram Stoker
und habe auch einige Romane über Vlad, den Pfähler gelesen aber keines der
Bücher war so detailliert, wie dieses. Da ich einige Jahre in Istanbul gewohnt
habe, konnte ich den dortigen Ereignissen sehr gut folgen. Die Schwierigkeit, in
den 50er Jahren von dort nach Bulgarien zu reisen, kann ich mir gut vorstellen.
Überall finden Helen und Rossi, deren Reisen den größten Teil des Romans
ausmachen, Freunde, die sich ebenfalls mit der Legende des Fürsten
beschäftigen.
Immer mehr Hinweise finden
sich, dass das Grab des Fürsten sich nicht dort befindet, wo die Historiker
vermuten.
Die Reisen des Mädchens sind
nur ein Bindeglied zwischen Rossis und Pauls Geschichte, sie hat nur wenig
Anteil an der Geschichte.
Was das Lesen dieses Romans so schwierig macht ist seine Art. Wie bei einer Matroschka, gibt es eine Geschichte, in der Geschichte, in der Geschichte…in Form von Briefen, Reiseberichten, historischen Dokumenten und mündlichen Erzählungen, so dass man immer wieder erst zum Ursprung zurückfinden muss. Es ist also kein Buch, dass man nebenher lesen kann. Aber ein Buch, dass sehr lehrreich ist, wundervolle Landschaften schildert und Charaktere beinhaltet, die einem ans Herz wachsen. Länder, deren Gastfreundschaft legendär ist, die wir heute ohne Probleme bereisen können, die eine Fülle von Historie aufweisen und in denen sich bis heute nicht sehr viel geändert hat.
Fazit:
Wer nicht nur Bram Stokers
Dracula lesen möchte, sondern Lust hat mehr über diese grausamen aber
faszinierenden Fürsten zu erfahren, jemand, der sich nicht scheut, 800 Seiten
zu lesen, der erfährt eine faszinierende Geschichte. Ich bin froh, dass ich
durchgehalten habe, denn die Erzählung weist auch einige Überraschungen auf.
Nie war Geschichte interessanter.
Titel: Der Historiker
Autorin: Elizabeth Kostova
Verlag: Weltbild, Softcover,
825 Seiten
ISBN: 9783828994287
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