14 Januar 2017

Lucretia L'Incarto - Die Chroniken von Chaos und Ordnung Band 4 von J.H. Praßl



http://www.chaosundordnung.com/chroniken.html#BandIV
Chara, Telos und Lucretia haben einen langen Weg hinter sich, Verletzungen an Körper und Seele erlitten, viele Kämpfe geführt und Freunde verloren. Doch all dies war lediglich eine Vorbereitung auf den nun folgenden Kriegsbeginn. Mittlerweile stehen die Protagonisten mehrere Jahre im Dienste des Alten vom Berg. Telos als Agramons Streiter, Chara als Assassinin und Lucretia als Magierein. Immer noch werden sie weiter ausgebildet und unterrichtet, um sie auf den kommenden Krieg vorzubereiten.  Al' Jebal beginnt die Vorbereitungen für den ersten Schlag der Allianz gegen das Chaos und zieht seine Truppen zusammen. Treffpunkt zur Vorbereitung der ersten Angriffswelle sind die Kabugna Inseln. Einst Teil einer Mission der Gefährten. Ziel ist es, die Festung Ishara zu erobern, ein mächtiges Bollwerk des Chaosbündnisses, welches als uneinnehmbar gilt.
Auf den Inseln erfahren Telos, Chara und Lucretia etwas über ihr Schicksal. Nebulös aber doch wegweisend für die Zukunft.  Chara weigert sich, an die Weissagung zu glauben und geht weiter mit dem Kopf durch die Wand. Mehr sei hier nicht verraten, da es sich um einen vierten Band handelt, ist es nicht zweckmäßig zu viel der vorherigen Ereignisse zu schildern und zu sehr auf die Fortsetzung der Handlung einzugehen, ohne Wichtiges zu verraten. Zuerst dachte ich, wieder endlose Kämpfe und Eroberungen, doch diesmal steht die Entwicklung der Personen eindeutig im Vordergrund. Wie sie sich langsam öffnen, menschliche Regungen oder zarte Bande zu lassen. Obwohl dieser Band Lucretia gewidmet ist, steht für mich erneut Chara eindeutig im Vordergrund, eine ambivalente, faszinierende und tiefgründige Person, die sicherlich noch eine Überraschungen zu bieten hat. (hoffe ich)
Al' Jebal hat mächtige Verbündete um sich geschart, doch wird es reichen, den Kampf zu gewinnen?
Ich möchte mich ganz herzlich bei dem Autorenpaar für das Rezensionsexemplar bedanken. Natürlich denken jetzt viele sicher: "Ahh, eine Gefälligkeitsrezension" aber das ist bei dieser Serie nun wirklich nicht nötig. Der Zyklus kann durchaus neben meinen Lieblingsserien wie das Spiel der Götter von Erikson, Otherland und Osten Ard von Tad Williams oder auch die Sturmlichtchroniken von Brandon Sanderson bestehen. Die Charaktere sind sehr detailliert und liebevoll entworfen und besitzen eine Tiefe, die man im Bereich Fantasy selten findet. Abgerundet wird das ganze durch die wunderbaren Zeichnungen und Illustrationen auf der Website zu diesem Epos.
Während des Lesens ist mir immer mehr die Frage durch den Kopf gegangen, wer bestimmt, was Ordnung oder Chaos, Gut oder Böse ist. Kurz vor dem Ende dieses Bandes fasst Chara diese Gedanken in Worte und fragt Telos danach, der ihr eine Antwort schuldig bleiben muss. In ihm wächst Zorn über diese Frage und er empfindet sie als blasphemisch. Aber zeigen dieser Zorn und seine Sprachlosigkeit nicht seine Angst? Berühren diese Fragen nicht einen wunden Punkt? Denn die Taten, die im Namen der Ordnung begangen werden, sind in den Augen der Leser grausam und brutal und nicht unbedingt notwendig oder gerechtfertigt. Wenn ein Feind seine Waffe fort wirft und sich ergibt und trotzdem niedergemetzelt wird, wie kann das der Ordnung dienen? Worin liegt der Sinn Frauen, Kinder und alte Menschen zu meucheln? Um das Chaos an der Wurzel zu packen? Wissen diese Menschen überhaupt, dass sie Chaosanhänger sind? Sie wohnen vielleicht einfach nur im falschen Teil der Welt, wo sich die Mächtigen dem Chaos verschrieben haben, dessen Bewohner aber lediglich Alltagssorgen plagen und die nichts von dem Krieg ihrer Herrscher wissen. Begibt man sich nicht selbst auf einem dunklen Pfad, wenn man keine Achtung mehr vor dem Leben zeigt, seine Ideale aufgibt und nur noch blind den Befehlen gehorcht? Und ausgerechnet Chara fasst diese Zweifel in Worte. Sie, die Entscheidungen lieber anderen überlässt sie, die eigentlich nur gehorchen und kämpfen will. Sollte es nicht Telos sein, der diese Zweifel anbringt?
Es beweist wieder, dass sich in Chara eine Tiefe verbirgt, die stets unerwartet aufblitzt, so dass niemand sie wirklich einschätzen kann. Siralen ahnt, dass in der Assassinin weit mehr steckt, als sie der Welt zu zeigen bereit ist.
Mit Lucretia, Chara und Siralen haben wir hier ein starkes Frauentrio, sehr gegensätzliche Figuren, die alle drei zu beeindrucken wissen. Siralen, die kühle, rationale Elfin, die chaotische Chara, die immer mit dem Kopf durch die Wand will und sogar Befehle verweigert und die damenhafte Lucretia, mit ihrem Ehrgeiz, von alle respektiert und geachtet zu werden. Sowohl Cara als auch Lucretia lechzen auf ihre Art nach Anerkennung, auch wenn es Chara vielleicht nicht so bewusst ist. Ihr liegt lediglich etwas  an der Anerkennung  Al' Jebals, der Rest der Welt ist ihr egal. Während sich Lucetria nach der Anerkennung der ganzen Welt sehnt.
Dieser Band unterscheidet sich von den anderen Bänden dahingehend, dass die Protagonisten Gefühle zeigen und zulassen dürfen. Telos verabschiedet sich von seiner unerfüllten Sehnsucht, Chara  zu bekehren und für sich zu gewinnen. Und durch diesen Verzicht kann er sein Herz endlich einer anderen öffnen. Lucretia, die eigentlich nur ein lockeres Techtelmechtel zur Entspannung eingehen möchte, findet bald ebenfalls in einer Beziehung wieder. Und Chara ist einfach Chara, wir haben ihre widerstreitenden Gefühle drei Bände lang verfolgt und lassen und einfach überraschen, wie es weiter geht.
Trotz des brutalen Krieges und der schonungslosen, teils kompromisslosen Beschreibungen der Kämpfe und des Mordens, empfinde ich diesen Band als etwas erholsamer und lockerer als Band drei. Das liegt vor allem an der charismatischen und unnachahmlichen Art der Lucretia  L'Incarto, die sich in den schlimmsten Momenten noch fragt, ob ihre Frisur oder ihre Kleidung  perfekt sitzt. Auch wenn diese Leichtigkeit im Laufe des Krieges und der unerträglichen Strapazen etwas verloren geht, wirkt sie doch wie die gute Seele des Buches. Ein Ort der Zivilisation und Etikette im Sog der Krieges.
Das Cover des Buches ist wieder eine Schattierung dunkler als die vorherigen Bände, man erkennt an der äußeren Gestaltung schon, dass eine Ereigniskette fortgeführt wird. Ergänzt wird die Geschichte mit vier schönen Landkarten, einer Karte der Festung Ishara, einem ausführlichen Glossar sowie einem  Personenregister. Wer mehr über die Welt Amaleas und die Protagonisten erfahren möchte, der sollte sich wirklich die Website anschauen.
Dieser Band lässt sich nicht ohne Kenntnisse der vorherigen Bände verstehen, die Ereignisse bauen aufeinander auf und führen den Leser in eine faszinierende Welt. Ich bin keine Spielerin. Die Bücher, die ich bisher gelesen habe, welche auf Spielen basieren, wirkten stets etwas leblos und fade. Sei es der einsame Wolf oder auch Assassins Creed. Aber diese Serie sprüht vor Lebendigkeit und zieht den Leser in ihren Bann. Das mag auch an der Fähigkeit der Autoren liegen, sich sehr bildhaft und wortgewaltig auszudrücken.
Fazit:
Ich konnte mir nach Band drei nicht vorstellen, wie die Autoren auf acht Bände kommen möchten. Aber Band  vier beweist, dass hier noch etliches an Potenzial verborgen ist und dem Ideenreichtum der Beiden keine Grenzen gesetzt sind. Ich warte ungeduldig auf Band fünf.
10 von 10 Sternen
Titel: Lucretia L'Incarto
Autoren: J.H. Praßl
Illustrationen: Sie selber
Verlag: Acabus, Softcover, 683 Seiten
ISBN: 9783862824403

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