Orphan
ist ein junger Mann, der im viktorianischen London lebt. Während er sein
Leben eher leicht und sorgenfrei verbringt und in den Tag hinein lebt, begegnet er Lucy und findet in ihr die Liebe
seines Lebens. Als sie seinen Heiratsantrag annimmt ist er überglücklich.
Doch dieses Glück ist nicht von langer
Dauer. Lucy stirbt bei einem Bombenanschlag auf die Marssonde und für Orphan
bricht eine Welt zusammen. Der junge Mann kennt nur noch ein Lebensziel: Den
Attentäter, bekannt unter dem Namen Bookman, zur Strecke zu bringen. Als immer
mehr seiner Freunde und Bekannten sterben, ahnt der Dichter, dass er der
Mittelpunkt einer Verschwörung ist, dessen Wurzeln weit in seiner Vergangenheit
liegen. Mit Unterstützung von Irene Adler, die bei Scotland Yard arbeitet und
Jules Verne begibt sich Orphan auf eine Reise zu einer geheimnisvollen Insel,
um hinter das Geheimnis des Bookman zu kommen. Dabei erfährt und erlebt er
Dinge, die weit über sein bisheriges Verständnis der Welt hinausgehen.
Kommentar:
Mehr über den Inhalt zu verraten würde
dem Leser jegliche Überraschung nehmen. Das Buch beginnt sehr langsam und
harmlos, doch im Laufe der Geschichte wartet der Autor mit immer neuen Details und
Wendungen auf, die dem Leser den Atem rauben. Und am Ende legt man das Buch
staunend und fassungslos zur Seite.
Das Cover lässt gleich auf das Genre
SteamPunk schließen und Lavie Tidhar hat hier alles einfließen lassen, was eine
gute SteamPunk Geschichte ausmacht. London wird von Königin Viktoria regiert,
doch sie ist kein Mensch sondern eine Echse. Die Echsen erschienen eines Tages
auf dem Kontinent und eroberten das ewige Empire. Seither stellen sie den Adel,
leben mit den Menschen aber friedlich zusammen, ohne ihnen ihre Doktrin
aufzuzwingen. Dieses London wirkt fremd
und dennoch vertraut, durch die Einbindung der Figur von Jules Verne begegnen
wir hier Fesselballons, Unterseebooten, mechanischen Menschen und vielem mehr.
In dieser Geschichte erscheinen viele
bekannte historische Persönlichkeiten wie, Shakespeare, John Irving, Karl Marx,
R. Kipling, Lord Byron, Jules Verne oder auch erfundene Gestalten wie Sherlock
Holmes oder Irene Adler. Alles wirkt irgendwie vertraut und ist doch eine
einzigartige Mischung an ausgefallenen Ideen. Der Autor begeht keinen
ideendiebstahl sondern er bereichert alle Figuren um neuen Facetten und
erfindet sie regelrecht neu.
Orphan zieht das Unglück magisch an,
alles um ihn herum geht in Flammen auf, seine Freunde sterben. Was ist an ihm,
dass er so vom Schicksal beachtet und gebeutelt wird? Und warum hat der Bookman
ein so großes Interesse an ihm?
Die Handlung des Buches verbirgt sich
hinter schmuckvollen Sätzen und ausschweifender Prosa. Immer wieder verlässt
der Autor den Pfad der Geschichte, um uns auf skurrile Eigenheiten seines
London aufmerksam zu machen. Die vielen Literaturbezüge, der etwas altmodische
Sprachgebrauch, das nebelige London sorgen für eine dichte Atmosphäre, die
Sprache ist beeindruckend in ihrer Eindringlichkeit. Sätze wie:"Draußen
war eisiger Nebel über die Stadt hergefallen, wie ein fahler Eroberer aus dem
Norden" lassen erkennen, wie routiniert der Autor das Medium Sprache
benutzt um den Leser zu beeindrucken.
Dort singen Belinda, Ariel und Thumb
einen alten Gassenhauer, auf dem weiteren Weg rezitieren Marktschreier Gedichte
passend zu ihren Waren, und dazwischen schlendern wir Leser immer wieder an beeindruckenden
Häuser und weiten Plätzen vorbei.Obwohl nicht viel passiert, fesselt die
Szenerie ungemein, der Autor beschreibt sie in beeindruckenden und poetischen
Worten. Kurioses, banales, seltsames, alltägliches, beeindruckendes, es wirkt
wie ein buntes Kaleidoskop von Eindrücken und Sinneswahrnehmungen. Man meint, die
Gerüche auf der Zunge zu schmecken.
Zum Ende hin fällt die Geschichte leider
etwas ab. Zu viele Ideen wurden auf zu wenigen Seiten ausgebreitet und man hat
ein bisschen das Gefühl, das der Autor sich in seinen Ideen verloren hat.
Fazit:
Zitat: Auf den Regalen dösten unzählige
Bücher vor sich hin und schienen ihm verschlafen etwas zuzumurmeln." Ein Muss für jeden bibliophilen Menschen, der
Wörter liebt und Gefallen an skurrilen Geschichten findet.
9 von 10 Punkten
Titel: Bookman
Reihe: das ewige Empire 1
Autor: Lavie Tidhar
Übersetzer: Michael Koseler
Verlag: Piper, TB, 432 Seiten
ISBN: 978-3492702423
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