25 April 2021

Scar Night - Die Kettenwelt-Chroniken Band 1 von Alan Campbell

 

Dill ist der letzte lebende Archon, der dem Tempel von Deepgate dient. Vor tausenden von Jahren entstiegen 99 Engel dem Abgrund, über dem die Stadt Deepgate hängt und unterstützen die Bewohner im Krieg gegen ihre Feinde. Der Krieg der Menschen ist zugleich ein Krieg der Götter, denn der Gott Ulcis, der sich gegen seine Mutter wandte, wurde von ihr in den Abgrund verbannt. Nun sammelt er die Seelen der Toten, um ein Heer aufzustellen und dem Abgrund zu entfliehen. Dills Aufgabe ist es, die Seelen der Toten dem Abgrund und somit Ulcis zu übergeben. 
Dill weiß nichts vom Leben außerhalb des Tempels, er hat das Areal noch nie verlassen. Unterrichtet wird er von knöchernen alten Männern, die ihm das Fliegen verbieten und ihn über das Weltgeschehen im Unklaren lassen.
Erst als die junge Spine Rachel Hael zu seiner Ausbilderin berufen wird, öffnet sich für ihn eine neue Welt. Sie ist es, die ihn dazu verführt, seine Flügel zu benutzen. 
Und noch ein anderes geflügeltes Wesen treibt sich Nachts in Deepgate herum. Carnival, ein Wesen, so schwarz wie die Nacht. Sie ist das genaue Gegengeil von Dill, dem strahlenden, weißen Engel. Doch eines haben sie beide gemeinsam. Ein Sehnsucht tief im Inneren verborgen. Beide sind einsame Wesen, von den Menschen gefürchtet, verachtet oder als Schachfiguren benutzt. Als Dill lernt, seinen Flügel zu benutzen, treffen Dunkelheit und Licht aufeinander.
 
Kommentar: 
Ich habe das Buch vor Jahren schon einmal gelesen und war damals fasziniert von der Welt. Eine Stadt, die in Ketten über einem Abgrund hängt. Ein einsamer Engel, der die Seele der Toten einem schrecklichen Gott übergeben muss. Eine junge Assassine, die in dem jungen Engel auch einen Menschen sieht. Mit Ängsten, Träumen und Sehnsüchten. Sie wird zu seiner Beschützerin. Innerhalb des Orden der Spine ist sie selbst eine Außenseiterin, denn sie wurde nicht gehärtet. Das bedeutet, sie ist immer noch ein empfindungsfähiges Wesen, während alle anderen Assassinen nicht mehr in der Lage sind, Gefühle zu empfinden. Und es ist überall auf allen Welten so, dass Außenseiter sich finden.
Die Geschichte spaltet sich in zwei Handlungsstränge auf. Der Lumpensammler Mr. Nettle verliert seine Tochter. Ihr Körper wurde ausgeblutet, ihre Seele ging verloren. Der alte Mann ist sich sicher, dass Carnival am Tod seiner Tochter schuld ist, da dieser schwarze Engel in jeder »Scar Night« das Blut eines lebenden Menschen braucht um zu überleben. Aber wie kann es sein, dass immer mehr ausgeblutete Leichen aufgefunden werden? Carnival hat noch nie mehr Blut genommen, als für ihr Überleben notwendig. Nettle findet bald heraus, wer der wahre Übeltäter ist und beobachtet von da an jeder seiner Schritte, um die Seele seiner Tochter zu finden. Nur mit ihrer Seele kann sie und an Ulcis übergeben werden. 
Obwohl ich die Geschichte um Rachel und Dill sehr schön finde, habe ich dieses Mal zu dieser seltsamen Welt keinen Zugang gefunden. Deepgate hängt an tausenden von Ketten über dem Abgrund. Es ist einen schmutzige, dreckige Stadt, irgendwie ist alles düster, ohne Licht und Freude. Vieles erinnert an Steampunk. Alchemisten und Chemiker entsinnen immer wieder neue Gifte und Chemikalien, um den Feind zu vernichten. Dichte Rauchwolken hängen über Deepgate, man sieht kaum das Licht der Sonne.  
Es ist keine Ehre mehr in diesem Krieg. Über die Nomaden und die Stämme außerhalb von Deepgate werden die Gifte aus Luftschiffen abgeworfen. Keiner der Soldaten Deepgates sieht, was dem Feind damit angetan wird. Gegen Pfeil und Bogen und Gewehren kann man die Luftangriffe des Feindes nicht abwehren, die Überlebenden Stämme verstecken sich in Höhlen und im »Zahn« einer uralten Maschine, die angeblich vor Jahrtausenden vom Himmel gefallen ist. 
Mich hat diese Art von Grausamkeit sehr erschreckt, es erinnert leider aber auch daran, dass wir Menschen schon ähnlich gehandelt haben. Man erinnere sich nur an Napalm. Und es zeigt, wie die Zukunft aussehen könnte, käme es zu einem erneuten Weltkrieg. Dann wird  nur noch auf Knöpfe gedrückt, und die Menschheit ist vernichtet. 
Carnival ist eine sehr ambivalente Figur. Ich mag Romane, in denen Engel eine große Rolle spielen und immer gibt es gute und böse Engel. Carnival ist keines von beiden. Sie ist eine zutiefst einsame und verlorene Seele, die verabscheut, was sie tun muss. Sie wird von allen verfolgt und gejagt, niemand hat sie je gefragt, was sie ist und woher sie kommt. Ihr Innerstes ist verhärtet, sie steckt voller Hass. Trotzdem gibt es für sie Grenzen. Rachel versucht alles, um Carnival zu fangen und zu töten. Dill gerät zwischen die Fronten. Das einzige andere lebende Wesen mit Flügeln soll sein Feind sein? Er hat so viele Fragen und ist sich sicher, dass der schwarze Engel sie beantworten kann. 
Alle drei Charaktere geraten in einen grausamen Krieg, als die Stadt Deepgate verraten wird und jemand versucht, die Ketten zu zerstören, damit die Stadt in den Abgrund stürzt. Mr. Nettle, der den Verräter schon lange beobachtet hat, da dieser auch der Mörder seiner Tochter ist, wird in die Ereignisse hineingezogen.
Alles in allem konnte mich die Geschichte nicht mehr so ganz überzeugen wie vor zehn Jahren. Aber dazwischen liegen hunderte neu gelesener Bücher mit sehr innovativen Ideen so dass die Kettenwelt eher etwas konfus erscheint. Und auch die Motivation des »Bösewichts« erschließt sich mir nicht ganz. Ihn als durchgeknallten Irren abzutun würde der Figur allerdings nicht gerecht. Vielleicht fehlt mir der Zugang zu dieser Person, weil ich kein gläubiger Mensch bin und mit dem Konzept Gott und Teufel nicht viel anzufangen weiß. Mittlerweile lese ich aber Band 2 und darin wird die Welt ein Stück größer und durch vielleicht verständlicher. 
Sprachlich gibt es nicht auszusetzen und die Übersetzung finde ich durchaus gelungen. 
 
Titel: Scar Night 
Reihe: Die Kettenwelt - Chroniken Band 1 
Autor: Alan Campbell 
Verlag: Goldmann, TB, 607 Seiten 
ISBN: 9783442475773

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