Dill ist der letzte lebende Archon, der
dem Tempel von Deepgate dient. Vor tausenden von Jahren entstiegen 99 Engel dem
Abgrund, über dem die Stadt Deepgate hängt und unterstützen die Bewohner im
Krieg gegen ihre Feinde. Der Krieg der Menschen ist zugleich ein Krieg der
Götter, denn der Gott Ulcis, der sich gegen seine Mutter wandte, wurde von ihr
in den Abgrund verbannt. Nun sammelt er die Seelen der Toten, um ein Heer
aufzustellen und dem Abgrund zu entfliehen. Dills Aufgabe ist es, die Seelen
der Toten dem Abgrund und somit Ulcis zu übergeben.
Dill weiß nichts vom Leben außerhalb des
Tempels, er hat das Areal noch nie verlassen. Unterrichtet wird er von
knöchernen alten Männern, die ihm das Fliegen verbieten und ihn über das Weltgeschehen
im Unklaren lassen.
Erst als die junge Spine Rachel Hael zu
seiner Ausbilderin berufen wird, öffnet sich für ihn eine neue Welt. Sie ist
es, die ihn dazu verführt, seine Flügel zu benutzen.
Und noch ein anderes geflügeltes Wesen
treibt sich Nachts in Deepgate herum. Carnival, ein Wesen, so schwarz wie die
Nacht. Sie ist das genaue Gegengeil von Dill, dem strahlenden, weißen Engel.
Doch eines haben sie beide gemeinsam. Ein Sehnsucht tief im Inneren verborgen.
Beide sind einsame Wesen, von den Menschen gefürchtet, verachtet oder als
Schachfiguren benutzt. Als Dill lernt, seinen Flügel zu benutzen, treffen
Dunkelheit und Licht aufeinander.
Kommentar:
Ich habe das Buch vor Jahren schon
einmal gelesen und war damals fasziniert von der Welt. Eine Stadt, die in
Ketten über einem Abgrund hängt. Ein einsamer Engel, der die Seele der Toten einem
schrecklichen Gott übergeben muss. Eine junge Assassine, die in dem jungen Engel
auch einen Menschen sieht. Mit Ängsten, Träumen und Sehnsüchten. Sie wird zu
seiner Beschützerin. Innerhalb des Orden der Spine ist sie selbst eine
Außenseiterin, denn sie wurde nicht gehärtet. Das bedeutet, sie ist immer noch
ein empfindungsfähiges Wesen, während alle anderen Assassinen nicht mehr in der
Lage sind, Gefühle zu empfinden. Und es ist überall auf allen Welten so, dass Außenseiter
sich finden.
Die Geschichte spaltet sich in zwei
Handlungsstränge auf. Der Lumpensammler Mr. Nettle verliert seine Tochter. Ihr
Körper wurde ausgeblutet, ihre Seele ging verloren. Der alte Mann ist sich
sicher, dass Carnival am Tod seiner Tochter schuld ist, da dieser schwarze
Engel in jeder »Scar Night« das Blut eines lebenden Menschen braucht um zu
überleben. Aber wie kann es sein, dass immer mehr ausgeblutete Leichen
aufgefunden werden? Carnival hat noch nie mehr Blut genommen, als für ihr
Überleben notwendig. Nettle findet bald heraus, wer der wahre Übeltäter ist und
beobachtet von da an jeder seiner Schritte, um die Seele seiner Tochter zu
finden. Nur mit ihrer Seele kann sie und an Ulcis übergeben werden.
Obwohl ich die Geschichte um Rachel und
Dill sehr schön finde, habe ich dieses Mal zu dieser seltsamen Welt keinen
Zugang gefunden. Deepgate hängt an tausenden von Ketten über dem Abgrund. Es
ist einen schmutzige, dreckige Stadt, irgendwie ist alles düster, ohne Licht und Freude. Vieles erinnert an Steampunk. Alchemisten und
Chemiker entsinnen immer wieder neue Gifte und Chemikalien, um den Feind zu
vernichten. Dichte Rauchwolken hängen über Deepgate, man sieht kaum das Licht der Sonne.
Es ist keine Ehre mehr in diesem Krieg. Über die Nomaden und die
Stämme außerhalb von Deepgate werden die Gifte aus Luftschiffen abgeworfen.
Keiner der Soldaten Deepgates sieht, was dem Feind damit angetan wird. Gegen
Pfeil und Bogen und Gewehren kann man die Luftangriffe des Feindes nicht
abwehren, die Überlebenden Stämme verstecken sich in Höhlen und im »Zahn« einer
uralten Maschine, die angeblich vor Jahrtausenden vom Himmel gefallen ist.
Mich hat diese Art von Grausamkeit sehr
erschreckt, es erinnert leider aber auch daran, dass wir Menschen schon ähnlich
gehandelt haben. Man erinnere sich nur an Napalm. Und es zeigt, wie die Zukunft
aussehen könnte, käme es zu einem erneuten Weltkrieg. Dann wird nur noch auf Knöpfe gedrückt, und die Menschheit
ist vernichtet.
Carnival ist eine sehr ambivalente
Figur. Ich mag Romane, in denen Engel eine große Rolle spielen und immer gibt
es gute und böse Engel. Carnival ist keines von beiden. Sie ist eine zutiefst
einsame und verlorene Seele, die verabscheut, was sie tun muss. Sie wird von
allen verfolgt und gejagt, niemand hat sie je gefragt, was sie ist und woher
sie kommt. Ihr Innerstes ist verhärtet, sie steckt voller Hass. Trotzdem gibt
es für sie Grenzen. Rachel versucht alles, um Carnival zu fangen und zu töten. Dill
gerät zwischen die Fronten. Das einzige andere lebende Wesen mit Flügeln soll
sein Feind sein? Er hat so viele Fragen und ist sich sicher, dass der schwarze
Engel sie beantworten kann.
Alle drei Charaktere geraten in einen
grausamen Krieg, als die Stadt Deepgate verraten wird und jemand versucht, die
Ketten zu zerstören, damit die Stadt in den Abgrund stürzt. Mr. Nettle, der den
Verräter schon lange beobachtet hat, da dieser auch der Mörder seiner Tochter
ist, wird in die Ereignisse hineingezogen.
Alles in allem konnte mich die
Geschichte nicht mehr so ganz überzeugen wie vor zehn Jahren. Aber dazwischen
liegen hunderte neu gelesener Bücher mit sehr innovativen Ideen so dass die
Kettenwelt eher etwas konfus erscheint. Und auch die Motivation des
»Bösewichts« erschließt sich mir nicht ganz. Ihn als durchgeknallten Irren
abzutun würde der Figur allerdings nicht gerecht. Vielleicht fehlt mir der Zugang
zu dieser Person, weil ich kein gläubiger Mensch bin und mit dem Konzept Gott und Teufel nicht viel anzufangen weiß. Mittlerweile lese ich aber Band 2
und darin wird die Welt ein Stück größer und durch vielleicht verständlicher.
Sprachlich gibt es nicht auszusetzen und
die Übersetzung finde ich durchaus gelungen.
Titel: Scar Night
Reihe: Die Kettenwelt - Chroniken Band 1
Autor: Alan Campbell
Verlag: Goldmann, TB, 607 Seiten
ISBN: 9783442475773
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