11 Juli 2021

Im Schatten der Krone - Die Grafen von Lenzburg- von Dorothe Zürcher

Ich beginne die Rezension mit einem Zitat von Seite eins: » Als Witwe darf ich mich nicht mehr vermählen«, erklärte Richenza spitz. Ein Kaiser hatte die Witwenheirat verboten, das wusste sie von ihrer Mutter.
   
»Ich handelte mit Graf Arnold aus, dass du keine richtige Witwe bist«, antworte er. Da du vom Nellenburger keine Frucht getragen hast ist eure vielleicht gar nie ausgeübt worden«.

So beginnt die Geschichte der Richenza, die im Alter von 19 Jahren mit Ulrich von Lenceburg verheiratet wird. Es ist ihre zweite Zwangsheirat und nachdem die erste sehr unglücklich und brutal verlaufen ist, erhofft sie sich von der zweiten Ehe keine Besserung. Ulrich von Lenceburg sollte ursprünglich Bischoff werden, wird aber von seinem Bruder, dem Grafen von Lenceburg, aus dem Kloster geholt und verheiratet. Ulrich ist um einiges jünger als seine zukünftige Frau aber im 11. Jahrhundert galt man mit 14 Jahren schon durchaus als Mann. 
Nach einer sehr zögerlichen Annäherung kommen sich die zwei sehr unterschiedlichen Eheleute näher. Sie gehen respektvoll miteinander um und es keimt sogar Zuneigung auf. Ulrich von Lenceburg ist ein aufrechter Mann, der König Heinrich IV. treu zu Seite steht. Und obwohl Richenza keine Gräfin ist, schaltet und waltet sie auf der Lenzburg bald nach eigenem Gutdünken.
 
Kommentar: 
Dies ist ein Buch, das nicht in mein übliches Genre passt. Aber ich habe von Dorothe Zürcher mittlerweile vier Bücher aus sehr unterschiedlichen Genre gelesen und ihre Art eine Geschichte zu erzählen fasziniert mich immer wieder. 
Das 11. Jahrhundert ist eine Zeit des Umbruchs. Während Kirche und Papst immer mehr an Einfluss gewinnen, spielt auch der Aberglaube noch eine große Rolle. (Seite 228 …dunkle Wälder, Hort von Kobolden und Geistern...)    
Die Autorin hat wunderbar recherchiert und sich zwei Personen als Charaktere ausgesucht, die für ihre Zeit sicher außergewöhnlich waren. 
Persönliche Belange und Wünsche spielen in dieser Zeit keine Rolle. Kinder sind politische Werkzeuge, die gewinnbringend verschachert werden. Egal ob Junge oder Mädchen. Jeder muss seinen Beitrag leisten, um das Haus zu stärken und der Familie Gewinn  zu bringen. 
Als Richenza auf der Lenceburg ankommt, empfindet sie sofort eine heftige Abneigung gegen den Grafen Arnold,  Ulrichs Bruder. Dieser hat nie geheiratet und er überlässt seiner Schwägerin nach und nach den Haushalt. Die Burg blüht auf, denn Richenza regiert zwar mit harter Hand aber auch gerecht. Ulrich versteht die Abneigung zwischen seinem Bruder und seiner Frau nicht. Bis zum Tode von Arnold bleibt er ahnungslos. Erst als sein Erstgeborener, ebenfalls Arnold mit Namen, die gleichen Anzeichen wie sein Onkel zeigt, klärt Richenza ihren Gatten auf. Hier zeigt sich besonders deutlich, dass, trotz aller religiösen und politischen Belange, Eltern sehr viel Liebe für ihre Kinder empfinden können und sich um ihr Wohl sorgen. 
Mir hat es besonders gefallen, wie die Autorin auf die kleinen Alltäglichkeiten eingeht, die man im Schulunterricht nicht erfährt. Solche Dinge wie, dass man in der Fastenzeit Biber essen darf, weil er im Wasser lebt und somit zu den Wassertieren wie Fisch gezählt wird. 
Auch die Diskrepanz zwischen Aberglaube und Glaube ist erstaunlich. Richenza geht zum Kaplan der Burg um ihn zu bitten, den Burgbewohnern die Beichte abzunehmen und Absolution zu erteilen und während des Gesprächs denkt sie schon darüber nach, dass sie zur Zauberin gehen muss um Schutzamulette gegen den bösen Blick zu bestellen. 
Die Geschichte umfasst über 30 Jahre und spiegelt sowohl das gesellschaftliche als auch das politische Bild der damaligen Zeit wieder. König Heinrich IV. ist uns hauptsächlich durch den »Gang nach Canossa« bekannt. Während er beim Papst weilt und Abbitte leistet, wird in der Heimat ein Gegenkönig ernannt und Ulrich muss sich entscheiden, für welche Seite er sich entscheidet. Niemand weiß, ob Heinrich Absolution gewährt wird, jede Entscheidung kann die falsche sein. Doch Ulrich ist ehrlich und treu, er zweifelt keine Sekunde an seiner Entscheidung, auch wenn er weiß, dass Richenza diese kaum akzeptieren kann. 
Dorothe Zürcher erzählt die Lebensgeschichte der beiden Charaktere sehr eindringlich und intensiv, ihre Art Sprache vermittelt ein genaues Bild der damaligen Zeit, man ist als Leser mittendrin. Die Eheleute haben vier gemeinsame Kinder und Ulrich zeugt noch einen Bastard, der auf der Burg lebt. Eheliche Treu galt damals bei den Männern wenig, wenn aber eine Ehefrau der Untreue verdächtigte wurde, konnte man sie verstoßen. 
Am Ende des Buches hat die Autorin noch eine Zeittafel und ein Verzeichnis der Orte und Personen hinzugefügt, das ichzum Schluß des Romans ebenfalls gelesen habe. Die Geschichte spielt teilweise hier in meinem Umland und einige Städte waren mir durchaus ein Begriff. Viele der Burgen und Klöster sind heute noch erhalten und zu besichtigen, eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Ich habe einige der erwähnten Orte nachgeschlagen, weil ich durch die bildhaften Beschreibungen sehr neugierig wurde, was aus den genannten Burgen und Klöstern wurde. Also durchaus auch ein lehrreiches Buch.
 
Fazit: 
Ein faszinierender, sehr gut recherchierter Roman, der zu fesseln weiß. Ich hätte gerne ein paar Seiten mehr gelesen, weil zum Ende hin doch einiges zu schnell abgehandelt wurde. Gerade weil das Buch sehr intensiv und langsam begann, viel mir das als Leserin zum Ende hin etwas auf. Aber es spricht ja für die Autorin, wenn man noch mehr von ihr lesen möchte. 
Ich bedanke mich für das Rezensionsexemplar und freue mich auf weitere Bücher von Dorothe Zürcher.
 
Titel: Im Schatten der Krone – die Grafen von Lenzburg 
Autorin: Dorothe Zürcher 
Verlag: ILV , TB, 345 Seiten 
ISBN: 9783907237342

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