Siem Kallason möchte nichts weiter als
die »Stadt« zu verlassen. Doch das ist nicht einfach. Niemand, den er kennt,
hat es bisher geschafft. Von der »Zone« wird erzählt, dass dort nichts und
niemand überleben kann. Menschen, die sich mit der »Stadt« nicht arrangieren können,
leben nun in ihren Randbezirken, ohne Arbeitserlaubnis, ohne Einkommen, ohne
die Sicherheit und Annehmlichkeit, die den angepassten Bewohnern gewährt wird.
Siam war schon immer anders. Seiner
Mutter lügt er vor, dass er zum Studium geht, doch er hat den Aufnahmetest
nicht bestanden. In keinem Job hält er es lange aus, nun prüft er die
Legimitation der Staatsvollstrecker, ein langweiliger und öder Job, der aber
genug Geld einbringt um seine Mutter zu unterstützen, sich zu ernähren und Geld
für die Flucht auf Seite zu legen.
Denn diese rückt immer näher. Eine
Vereinbarung mit einem »Geist« lautet: Tritt ein Jahr der Kirche des heiligen
Prozesses bei, beobachte und berichte, dann bist Du frei und kannst die »Stadt«
verlassen.
Siam geht auf den Pakt ein und durch
seinen Mitbewohner Jere, der ein Mitglied der Kirche ist und für ihn bürgt,
wird er dort aufgenommen. Er ignoriert die Warnung, die ihm beim
Aufnahmeprozess zugesteckt wird, die Kirche zu meiden.
Schon bald merkt Siam, dass er sich dem
Einfluss der Kirche nicht entziehen kann. Aber sein Traum von einem Leben ohne
Zwänge und Kontrolle hilft ihm, Abstand zu wahren. Doch wie lange noch?
Kommentar:
Selten habe ich ein Buch gelesen, dass
mich so unentschlossen zurück lässt. Die Geschichte war sehr bedrückend und
Angst einflößend, denn vieles klingt zu nahe an der Wirklichkeit, ist absolut
vorstellbar.
Das Genre, welches der Autor hier nutzt,
nennt sich »New Weird«, ein Genre, dass ich bisher kaum kannte. Um aus dem Buch
zu zitieren: New Weird ist eine literarische Gattung der Phantastik, in welcher
die Grenzen zwischen diversen Genres, aber vor allem zwischen Horror-, Fantasy-
und Science Fiction Literatur verschwimmen.
Daher habe ich wohl auch Probleme damit,
meinen persönlichen Eindruck in Worte zu fassen. Die »Stadt« wird nicht näher
beschrieben, wirkt auf den Leser aber wie ein riesiger, grauer, alles
erdrückender Betonklotz, aus dem es kein Entkommen gibt. Alles ist
reglementiert, es gibt keinen Ausweg. Wer sich nicht an die Regeln hält, fällt
durch das Raster, ihm werden alle Privilegien entzogen. Und obwohl die Gefühle
Siams hier sehr detailliert beschrieben werden, berühren sie den Leser nicht.
Noch nicht einmal die Szene, in der der »Geist« Siam mit seiner Angst
konfrontiert, hat mich berührt. Das klingt negativ aber das ist es nicht. Es
passt zu dem ganzen Szenario, das Devon Wolters hier entworfen hat. Die »Stadt«
lässt keine Gefühle zu und der Leser wird in ihren Sog hineingezogen. Siam
versucht, hinter das Geheimnis der »Stadt« zu kommen, hinter ihre
Vergangenheit, ihre Geschichte aber alles bleibt im Verborgenen. Niemand weiß,
wie und wann sie entstand, warum so viele Bezirke verlassen sind, wie sich
entwickelt hat. Niemand weiß, wer sie regiert aber alle Bewohner wissen, dass
sie sich an die Regeln zu halten haben. Der Wunsch Siams, ihr zu entkommen,
kann man als Leser durchaus nachvollziehen.
Und langsam schleicht sich das Grauen in
dieses Szenario mit hinein. Es wird deutlich, dass die Kirche nicht so harmlos
ist, wie sie nach außen hin scheint. Es kommt einem eher so vor wie eine Sekte.
Wer gehorcht, wird geliebt und geachtet, genießt die Vorzüge, die den
Mitgliedern gewährt wird. Ein guter Job, Krankenversicherung und die Hilfe der
Gemeinschaft. Iljo und Esa sind sehr charismatische und überzeugende Führer der
Gemeinschaft und vermitteln das Gefühl von Freude und Harmonie. Aber genauso
wenig, wie man als Leser die Angst Siams erlebt, so wenig spürt man den Frieden
und die Harmonie der Kirche. Es beschleicht einen lediglich ein unbehagliches
Gefühl, man fängt an, vieles mit dem realen Leben zu vergleichen und beginnt zu grübeln.
Ich habe das Buch vor einer Woche
beendet und denke immer noch darüber nach.
Das Cover ist so grau und erdrückend wie
die »Stadt«, vermittelt aber einen guten Eindruck, was den Leser erwartet. Es
zeigt den Kopf Siams, in dem die Kirche sich festgesetzt hat. Sie wächst und
lässt sich nicht mehr entfernen. Der Alltag ist trist und grau, farblos, trüb,
wie der Rest des Covers.
Wenn man der Kirche beitritt, wird einem
eine kleine Melodie in den Kopf gesetzt. Harmlos, meint man zuerst. Pfeifen wir
doch nicht alle oft eine kleine Melodie, summen vor uns hin, ohne zu wissen, wo
diese Melodie jetzt herkommt?
In diesem Roman beginnt die Melodie,
Siams Leben zu beeinflussen und in eine Richtung zu lenken. Es beginnt mit
Kleinigkeiten. Immer, wenn der Kettenraucher zu einer Zigarette greift,
erklingt die Melodie, wird lauter und lauter, bis ihm das Rauchen langsam aber
sicher verleidet wird. Er wehrt sich gegen diese Beeinflussung, raucht aus Trotz
weiter, ist sich sicher, dass der Geist ihn nach einem Jahr von dieser Melodie
befreien kann. Für diese Aussicht ist er bereit, die Schmerzen zu ertragen, die
in seinem Kopf erzeugt werden.
Siams Kampf gegen die Macht der Kirche
ist sehr eindringlich beschrieben aber auch hier schwappen die Emotionen nicht zu
dem Leser herüber. Nochmal: das mag negativ klingen, passt aber zu dem
Szenario. Und ehrlich: ich war froh, diesen Abstand zu der Geschichte wahren zu
können, denn ich hatte Angst, dass die Kirche auch mich beeinflussen könnte.
Die Handlung beschränkt sich
ausschließlich auf einen kleinen Teil der »Stadt«. Alles ist sehr
minimalistisch beschrieben, unnötige Ausschweifungen werden von Devon Wolters
vermieden, würden die Eindringlichkeit der Geschichte auch mindern. Es gibt
wenige Charaktere, die Menschen der »Stadt« interagieren kaum miteinander.
Außer einem Gefühl der Tristesse, Einsamkeit
und Bedrohlichkeit wird dem Leser nichts vermittelt. Sogar der Traum,
der Wunsch, das Ziel Siams und das Versprechen des »Geistes« bringen keinen
Hauch von Hoffnung bzw. Farbe in diese Geschichte.
Ich habe dieses Buch ohne große
Erwartungen begonnen. Diese Roman hat mich nicht erfreut, er hat mich
frustriert, entsetzt, sich in meinen Geist geschlichen, wie diese sogenannte
Kirche sich in Siams Geist schleicht. Es ist kein Roman, den man mit
Leidenschaft oder Begeisterung liest aber man kann ihn nicht mehr aus der Hand
legen. Wer sagt, dass Fantasy, Horror Science Fiction Romane inhaltslos, leer und nichtssagend sind, der sollte zu diesem Roman greifen und
sich eines Besseren belehren lassen.
Sprachlich spielt der Autor in der oberen
Liga, er schreibt, klar, direkt und schnörkellos, nichts anderes würde hier
passen.
Fazit:
Nichts für Leser, die 08/15 Geschichten
bevorzugen, die einen lediglich berieseln. Dieser Roman ist anspruchsvoll,
eindringlich, verstörend und unbequem aber auch faszinierend. Er macht keinen
Spaß aber meines Erachtens war das auch keine Intention des Autors.
Ich bedanke mich für das Rezensionsexemplar,
ich weiß, dass viele Selfpublisher lieber Ebooks verschicken und daher freue
ich mich, wenn respektiert wird, dass ich keine Ebooks lese und mir ein
kostbares Printexemplar zugesendet wird. Meine Meinung wurde davon nicht
beeinflusst, sie ist rein subjektiv und der Beitrag ist keine Werbung.
Titel: Die Kirche des heiligen Prozesses
Autor: Devon Wolters
Verlag: Selfpublishing, Hardcover, 198
Seiten
ISBN: 9783751903189
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