Die Geschichte spielt Mitte der 50er
Jahre in den USA. Obwohl sich die Schwarzen im Bürgerkrieg ihre Freiheit erkämpft haben, sind sie auch Jahrzehnte
später nicht frei. Sie werden benachteiligt, schikaniert, ihrer Rechte, wenn
sie denn welche haben, beraubt und ihnen wird grundlos Gewalt angetan. In
dieser Welt wächst Atticus Turner auf. Obwohl ein Veteran des Koreakrieges,
erhält er von den Weißen weder Respekt noch Achtung. Seine Flucht vor dem Alltag sind die Bücher. Wie sein Onkel
George, liest auch Atticus gerne Science Fiction, auch wenn sie von weißen
Autoren geschrieben wurde. Das ist einer der Punkte, die ihn mit seinem Vater
Montrose entzweien. Vater und Sohn stehen sich nicht nahe, doch als Montrose
spurlos verschwindet, machen sich Atticus, George und Cousine Letitia auf den
Weg, um den alten Mann zu finden.
Die Reise gestaltet sich einfacher als
gedacht, denn George ist der Herausgeber des Reiseführers "Safe Negro
Travel Guide" und kennt somit alle Orte, an denen Schwarze ungefährdet anhalten,
tanken oder übernachten können.
Erst als sie im Lovecraft Country
ankommen, einem Teil der Staaten, wo die Rassengesetze in Ehren gehalten
werden, wird es brenzlig. Und als sie Montrose tatsächlich finden, überschlagen
sich die Ereignisse. Mysteriöse Orden, Zauberer, Weltherrschaft, Geheimlogen.
magische Rituale. Atticus und seinen Begleitern offenbart sich eine Welt, von
der sie nie etwas erfahren wollte und aus der es scheinbar kein Entkommen gibt.
Kommentar:
Das erste Drittel des Buches habe ich
verschlungen, das zweite Drittel hat mich irritiert und etwas verwirrt und als
sich am Ende alles zusammenfügt, bleibt man einfach nur atemlos zurück. Während
des Lesens mache ich mir nebenher immer Notizen, was ich in eine Rezension
einfließen lassen möchte. Auf Seite 30 hatte ich schon drei Zitate aus dem Buch
notiert, Sätze, die mich gefangen nahmen.
Seite 15:
"Dann nahm er sich die Bücher vor
und kippte die Schachtel in den Kofferraum aus. Atticus versuchte, nicht
hinzusehen, sagte sich, Taschenbücher seien ja da, um schlecht behandelt zu
werden. Aber e war schlimm, wie, wenn man mit ansehen musste, wenn Freunde
zusammengeschlagen wurden."
Seite 20:
"aber mit Geschichten ist es wie
mit Menschen. Sie werden nicht deshalb perfekt, weil man sie liebt. Du willst
ihre Vorzüge hervorheben und ihre Mängel übersehen. Und trotzdem gibt es
die."
Horace, der Sohn von George ist ein
begnadeter Zeichner und möchte später Comiczeichner werden. Er bebildert den
Reiseführer seines Vaters wie folgt:
Seite 28:
"Gegenden, in denen viele Schwarze
lebten, wie die Southside von Chicago, waren als strahlende Festung
dargestellt. Kleinere Viertel waren mit Türmen oder als Oasen eingezeichnet.
Abgelegene Motels oder Hotels waren Gasthäuser lächelnden Gastwirten.
Unterkünfte von Privatpersonen, die Zimmer an schwarze Reisende vermieteten,
waren mit Bauernhütten, Baumhäusern oder Hobbithöhlen versehen. Weniger gastfreundliche Landesteile waren von
Ogern, Trollen, Vampiren, Werwölfen, wilden Bestien, Geistern, bösen Zauberern
und vermummten weißen Rittern bevölkert.
Matt Ruff verfügt über eine meisterliche,
bildhafte Sprache und man merkt ihn seine Liebe zu Science Fiction und Fantasy
an. Trotzdem habe ich nachgeschlagen, wann Herr der Ringe erschienen ist und
Horace schon wissen konnte, was eine Hobbithöhle ist.
Das ganze Buch durchziehen solche Satzperlen,
es ist ein Genuss, es zu lesen. Das erste Drittel des Buches habe ich
regelrecht verschlungen. Dann wurde es etwas unübersichtlich, da die Geschichte
sich auf viele Handlungsstränge aufgeteilt hat, die erst am Ende wieder
zusammenfinden. Dreh-und Angelpunkt dieser Stränge ist Caleb Braithwhite, er
ist auch derjenige, der Montrose dazu überredet hat, Chicago zu verlassen. Er
ist ein charismatischer, attraktiver Mann, doch schnell stellt sich heraus,
dass er ein wahrer Teufel in Menschengestalt ist. Er hat mich an Lucas Black
erinnert, hinter dessen Fassade man ebenfalls nicht schauen konnte. Er taucht
bei einem Familienmitglied der Turners nach dem anderen auf. Zieht die Fäden im
Hintergrund, lügt, verführt, umgarnt, erfüllt die Träume und Wünsche eines
jeden, um dann die Rechnung zu präsentieren.
Mich hat zu Beginn des Buches irritiert,
dass für die Bezeichnung von Atticus und seiner Familie das Wort Neger benutz
wurde. Heutzutage ist dieses Wort ja politisch nicht korrekt ist und es
gilt als Beleidigung. Aber gerade die
Benutzung des Begriffs verdeutlicht den Rassismus, die Vorurteile, Ignoranz und
die Gewalt, der Atticus und seine Familie ausgesetzt sind. Es macht klar, wie schwer es ihnen fällt, die
täglichen Schikanen und Ungerechtigkeiten zu ertragen und trotzdem ein halbwegs
zufriedenes Leben zu führen. George und Montrose sind hier zwei Figuren, die
den Gegensatz zwischen Akzeptanz und Auflehnung verkörpern.
Und Ruby ist die wohl tragischste Figur
in diesem Roman, ihre Geschichte hat mich erschüttert. Lovecraft Country, dass
Land der Weißen, erweckt tiefe Furcht in
den Reisenden, doch sie müssen sich dem Horror stellen.
Das Cover des Originals verdeutlicht
wesentlich besser, um was es in dem Buch geht. Die Tentakel erinnern an H.P.
Lovecrafts Geschichten und verdeutlicht den Horror, der in diesem Roman zu
finden ist. Auch wenn es der alltägliche Horror ist, den ein Schwarzer im Jahre
1954 in den USA täglich erleiden muss. Das Cover der deutschen Ausgabe zeigt
schattige Figuren im Hintergrund, die als Mitglieder des Klu-Klux Clan zu
erkennen sind, vor einem einsam stehenden Haus. Die Vergleiche, die hinten auf
dem Cover gezogen werden, sind teilweise abstrus. Was dieses Buch mit Matrix zu
tun haben soll ist mir schleierhaft. Und Pynchon fehlt der Humor und der Charme
eines Matt Ruff. Obwohl ich auch gerne Vergleiche zwischen Autoren ziehe, fällt
es mir sehr schwer, hier Namen zu nennen, die ähnliche fesselnde und
faszinierende Geschichten schreiben, In seiner leichten, humorvollen und doch
intensiven Art, Ernsthaftes mit Fantasie zu mischen, ist Matt Ruff wohl einmalig.
Was mir persönlich gefehlt hat war eine
Legende der Familie Turner, um das Beziehungsgeflecht stets vor Augen zu haben,
eine Kapitelübersicht so wie das Nachwort des Autors.
Den Satz habe ich gerade auf der Autorenseite gefunden:
Titel: Lovecraft Country
Autor: Matt Ruff
Übersetzer: Anna und Wolf Heinrich Leube
Verlag: Carl Hanser, HC, 432 Seiten
ISBN: 9783446258204
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