Worum
geht's?
Chicago 2013:
68 Jahre nach Ende
des 2. Weltkriegs möchte Lena Woodward, geborene Scheinmann endlich ein
Versprechen einlösen. Sie will Karolinas Zwillinge finden.
Dazu sucht sie sich
Hilfe beim Ermittler Liam Taggart und seiner Frau, der Anwältin Cathrine
Lockhart. Stück für Stück erzählt Lena ihre Geschichte, die in Polen in den
30iger Jahren beginnt. Sie berichtet, wie Deutschland Polen überrollt und unter
seine Kontrolle bringt.
Da die Familie dem
jüdischen Glauben angehört, gelten für sie auch alle Gesetze, die gegen
jüdische Menschen erlassen werden. Als die Familie aus ihrem Haus vertrieben
und auseinander gerissen wird, muss Lena jeden Tag aufs Neue Entscheidungen
treffen. Eine Jugendliche, die bisher behütet aufgewachsen ist und nun alleine
in den Wirren des Krieges gefangen ist. Die Bedingungen verschärfen sich und
gemeinsam mit Karolina, ihrer Freundin aus Kindheitstagen kämpft sie ums
Überleben. Als Karolina schwanger wird und Zwillinge zur Welt bringt, wissen
beide, dass den zwei Mädchen wahrscheinlich kein langes Leben beschert sein
wird.
Wie hat es mir gefallen?
Mir fehlen die
richtigen Worte. Ich befürchte, ich kann niemals genau beschreiben, warum ich
diese Geschichte so beeindruckend fand.
Ich bin 1971 in
Österreich geboren und 1988 war das Gedenkjahr „50 Jahre Einmarsch Hitlers in
Österreich“ ein großes Thema. Meine Generation, ist die erste, die über den 2.
WK unterrichtet wurde. Das Land begann damals seine Rolle neu zu überdenken.
Neue Informationen über Mitläufer und Täter kamen ans Licht.
Da meine Mama aus
Frankreich stammt, durfte ich noch eine andere Sichtweise kennenlernen.
Gleichzeitig unterrichtete sie Geschichte und somit waren meinem Wissensdurst
keine Grenzen gesetzt.
Ich wollte
unbedingt wissen, warum es soweit kommen konnte, dass normale Menschen zu
Monstern wurden und warum, die Bevölkerung sich nicht gegen dieses Regime
auflehnte. Ich las unzählige Tatsachenberichte und auch Romane. Ich ging sogar
soweit, in den Tiroler Archiven zu forschen, um Überlebende des Holocaust zu
finden. Ich durfte ein paar persönlich kennenlernen und habe Geschichten
gehört, die mich entsetzt, berührt und betroffen gemacht haben.
In dieser Zeit gab
es auch jede Menge Dokumentationen! Was Schilderungen und Beschreibungen nicht
erfassen konnten, ergänzten Bilder. Das war eine ganz neue Dimension der
Grausamkeit.
Damals glaubte ich
noch daran, dass die Menschheit aus ihrer Geschichte lernen kann, als es dann
während des Jugoslawien-Kriegs wieder Konzentrationslager gab, schloss ich
vorübergehend dieses Kapitel ab.
Erst langsam traute
ich mich wieder an dieses emotionale Thema heran. Nach dem Roman „Die
Bücherdiebin“ von Markus Zusak begann ich mit „Sarahs Schlüssel“ von
Tatjana de Rosnay wieder über diese Zeit zu lesen. Als ich in Paris war, musste
ich mich auf die Spuren von „Rafle du Vélodrome d’Hiver“ begeben. Am 16. Und
17. Juli 1942 wurden die Juden Paris in dem Velodrom zusammen gepfercht und
mussten dort tagelang ohne Versorgung aushalten, bevor sie in Vernichtungslager
im Osten verfrachtet wurden. Unverhältnismäßig viele Frauen und Kinder fielen
der Razzia zum Opfer. Die französische Polizei half tatkräftig mit. Ein Kapitel
in der Geschichte Frankreichs, das niemand gerne erwähnt.
Ihr seht, ich
befasse mich schon recht lange mit dem Holocaust und dem 2. WK, jedoch nur mehr
in geringen Dosen, denn es erschüttert mich auch heute, über diese Zeit zu
lesen.
Mit „Karolinas
Töchter“ fand ich ein Buch, das ein wahrer Schatz in meinem SuB war.
Das Augenmerk liegt
natürlich auf Lena und ihrer Geschichte rund um ihre Freundin Karolina. Ich
weiß nicht, ob es an der Übersetzung liegt oder die Sprache auch im Original
eher einfach ist. Damit meine ich, dass es keine, unendlich langen, in einander
verschachtelte Sätze gibt. Diese direkte Schreibweise unterstreicht die
Erzählung und die Eindringlichkeit der Ereignisse. Jeder überlebte Tag ist ein
Erfolg und Widerstand gegen die Nazis.
Doch in der
Grausamkeit des Alltags gibt es auch winzig kleine Lichter der Hoffnung. Ein
Gebet mitten in der Hölle, ein Stück Obst von einem jungen Mann oder ein
angebotener Schlafplatz in einer kleinen Nische.
Die Suche nach
Karolinas Töchter nimmt auch den größten Teil der Geschichte ein. Liam und
Cathrine werden schnell von Lenas Erzählungen in den Bann gezogen. Zwar ist die
Dame bereits 89 Jahre alt, aber ihr Gedächtnis scheint völlig in Ordnung zu
sein. Ihr Sohn Arthur zweifelt ihre geistige Gesundheit jedoch stark an und
glaubt, sie leide an Altersdemenz. Auf seine eigene Art und Weise möchte er
seine Mutter beschützen, aber manchmal hätte ich ihm liebend gerne eine
Kopfnuss verpasst. So beginnt auch noch ein Wettlauf gegen die Zeit, um die
Entmündigung Lenas zu verhindern.
Mit diesen zwei
Handlungssträngen, die sich abwechseln, hält Ronald H. Balson die Spannung
ständig aufrecht. Denn Liam und Cathrine fühlen sich für Lena verantwortlich.
Sie versuchen alles, dass sie ihr Versprechen halten kann. Aber die Zeit drängt
gnadenlos. So viele Jahre nach Ende des Kriegs wird es fast unmöglich, Beweise
und Hinweise zu finden.
In seiner Widmung
bedankt sich der Autor bei Fay Scharf Waldman, deren Geschichte er in diesem
Roman erzählt. Einzig die Ereignisse in Chicago sind erfunden und haben mit Fay
überhaupt nichts zu tun. Vielleicht könnte in Schulen dieses Buch gelesen
werden, um somit einen Teil zur Bildung rund um den Holocaust beizutragen.
Wer „Die
Nachtigall“ von Kristin Hannah mochte, wird dieses Buch genauso gerne lesen.
Wobei „gerne“ nicht das passende Wort ist. Ich lege es euch ans Herz. Lasst
euch auf Lena und Karolinas Geschichte ein.
Titel:
Karolinas Töchter
Autor:
Ronald H.Balson
Übersetzer:
Max Stadtler
Verlag:
Aufbau Verlag, TB, 448 Seiten
ISBN:
978-3746632971
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