05 September 2020

NSA von Andreas Eschbach


Helene Bodenkamp weiß nicht so recht, was sie sich für ihre Zukunft wünscht. In der Schule belegt sie, mangels anderer Interessen, einen Programmierkurs und es stellt sich heraus, dass die junge Frau über eine regelrechte Begabung verfügt. Bei einem deutschlandweiten Programmierwettbewerb belegt sie den zweiten Platz.
Als sie ihren Abschluss in der Tasche hat bekommt Helene einen Brief von der NSA. Dahinter verbirgt sich das Amt für nationale Sicherheit, ein Amt, das kaum einem Deutschen bekannt ist und das eher im Geheimen operiert. Sie bieten der jungen Frau einen Job an, sie haben den Werdegang Helenes von Anfang an verfolgt.
Um nicht zu Hause bleiben und als arische Zuchtstute auf dem Heiratsmarkt angeboten zu werden, nimmt Helene die Tätigkeit in der NSA auf und erstellt auf Anforderung der Analysten hin diverse Programme. Sie weiß nicht, für was diese Programme verwendet werden und es ist ihr auch egal.

Als eines Tages Heinrich Himmler dem Amt seinen Besuch ankündigt, ist ihr besonderes Talent gefordert, denn das Amt muss seine Daseinsberechtigung unter Beweis stellen, um nicht der SS angegliedert zu werden.
Als Helene bei der Demonstration eines ihrer Programme dabei ist erkennt sie endlich, zu was diese verwendet werden, ihr werden sprichwörtlich die Augen geöffnet. Von nun an versucht sie mit allen Mitteln, ihre Freunde und ihren Geliebten vor der Entdeckung durch die SS zu schützen. 
Kommentar:
Dies ist nur ein sehr kleiner Teil der Handlung. Neben Helene Bodenkamp gibt es einen weiteren Hauptcharakter Namens Eugen Lettke. Er ist der Sohn eines Kriegshelden und lebt mit seiner verwitweten Mutter zusammen. Er schafft es, sich vor der Einberufung zu drücken und den Status »UK« für unabkömmlich zu erhalten. Doch je weiter der Krieg fortschreitet und je mehr menschliche Ressourcen gebraucht werden, desto wackeliger wird dieser Status. Lettke, der wie Helene, beim nationalen Sicherheitsamt arbeitet, versucht mit allen Mitteln, sich dort unabkömmlich zu machen. Dazu greift er zu unlauteren Mitteln und nutzt die im Amt gesammelten, geheimen Daten, zu persönlichen Zwecken.
Das Szenario, das Andreas Eschbach hier schafft, ist erschütternd und unheimlich. Man hat nicht das Gefühl, eine fiktive Geschichte zu lesen, zu Nahe ist er oft an der Wahrheit.
Man stelle sich vor, Hitler hätte schon über die Macht der Computer verfügen können. Das Bargeld ist abgeschafft, jede Transaktion eines jeden Menschen wird im Netz festgehalten und kann verfolgt werden. Telefone werden überwacht und können jederzeit lokalisiert werden. Wir haben das Jahr 2020 und viele der hier im Buch geschilderten Dinge sind heute Alltag. Handys werden geortet, wir zahlen mittlerweile fast alles mit EC oder Visa Karte und bestellen viele Produkteim Internet. Und jetzt stelle man sich vor, einer wie Hitler käme an die Macht. All diese Daten könnten dazu genutzt werden Abweichler, Querdenker, Andersgläubige aufzufinden und einzusperren. Ohne Gerichtsurteile.
Hier treffen Fiktion und Realität aufeinander, denn einige Staaten nutzen diese Macht heute schon, um  angebliche Staatsfeinde ausfindig zu machen.
Während Eugen Lettke ein Egoist erster Güte ist, wirkt Helene zu Beginn sehr naiv. Für sie bedeutet programmieren Freiheit vor ihren Eltern und eine Zeit lang auch Freiheit vor einer Zwangsehe.  Wofür die Programme genutzt werden ist ihr egal. Sie glaubt fest daran, dass die Daten lediglich dazu dienen, das Leben der Deutschen zu verbessern oder Verbrechern auf die Spur zu kommen.
Als sie jedoch feststellt, dass man auf Grund der Programme versteckte Juden oder Deserteure ausfindig machen kann, beginnt Helene, kleine Veränderungen an den Programmen vorzunehmen, um die Ergebnisse zu verfälschen.
An sich ein ehrenwertes Unterfangen aber im Endeffekt macht sie sich der gleichen Sache schuldig wie Eugen Lettke. Nutzung der Daten zum privaten Gebrauch. Es ist ein moralisches Dilemma. Wenn einem die Macht gegeben ist, diese Daten zu verwenden, darf man sie nutzen, um Menschenleben zu retten? Missbrauch ist Missbrauch, wo setzt man die Grenze? Auch die Regierung argumentiert, dass die Daten lediglich dazu verwendet werden, um das Leben der Bevölkerung zu verbessern und sie vor Staatsfeinden zu schützen. Andererseits, wie weit darf eine Überwachung der Menschen gehen? Muss man sich vom Staat ausspionieren lassen, jedes kleinste Detail seines Lebens offenlegen und in der Masse von Millionen Menschen ein paar Abweichler zu finden?
Das Buch rüttelt auf und gibt viele Denkanstöße aber auch Andreas Eschbach kann hier keine Lösung bieten. Mittlerweile ist die Vernetzung der Welt viel zu weit fortgeschritten, der Mensch ist abhängig geworden. Es gibt schon Diskussionen, das Bargeld abzuschaffen, damit wären wir ein gläserner Mensch. Unser Kaufverhalten wird heute schon ausgewertet und wir werden gezielt mit Werbung bombardiert, die unserem Konsumverhalten entspricht.
Ich habe einige Rezensionen zu diesem Buch auf Amazon gelesen und war erschüttert über die »Ein Sterne« Bewertungen, das Buch wäre oberflächlich, die Nazis wären zu eindimensional beschrieben, es hätte schließlich auch Widerstand gegen die Nazis gegeben, was im Buch nicht thematisiert werden würde. Dem kann ich nur vehement widersprechen. Helenes Umdenken ist schon ein großer Schritt vom kleinen, süßen arischen Mädchen in eine junge Frau, die versucht, anderen zu helfen. Marie und Otto haben auf ihrem Hof schon lange ein Versteck gebaut, in dem sie befreundete Juden verstecken wollten. es werden immer wieder Fluchthelfer erwähnt, die es Deserteuren und Juden ermöglichen, das Land zu verlassen.
Desweiteren wird geschrieben, die Handlung wäre langweilig und zäh. Ich hingegen konnte das Buch kaum aus der Hand legen. Das Grauen schleicht sich langsam und auf leisen Sohlen in den Verstand des Lesers. Wenn Dr. Bodenkamp von seiner neuen Tätigkeit erzählt, die Rasse eines Menschen zu bestimmen und arische Merkmale festlegt. Wenn Dr. Danzig seine neuen Behandlungsmethoden anwendet. Wenn die Analysten immer ausgefeilter Programme anfordern um die Menschen mehr und mehr einzuengen und die Verstecke der Flüchtenden auszumachen. Wie sich die Schlinge um Helene immer enger zuzieht und ihre Lage immer auswegloser wird. Das alles ist sehr beängstigend und kriecht einem unter die Haut.
Der Autor hat hier bekanntes und fiktives auf eine Art miteinander vermischt, dass man vergisst, einen Roman vor sich zu haben. Computer werden mit K geschrieben., Programmiererinnen  nennt der Autor Programmstrickerinnen, Handy sind Volksphone und Emails sind Elektrobriefe. Alles nah an der Gegenwart aber doch fiktiv.  Ich habe die Serie »the man in the high castle« gesehen, wo es ja auch um ein alternative drittes Reich geht und das Szenario nicht minder erschreckend ist. Auch wenn Andreas Eschbach andere Wege geht, kann man beide Werke durchaus vergleichen. Sie machen Angst, regen zum Nachdenken an und weisen auf den Schrecken der damaligen Zeit hin.
Fazit:
In einer Zeit, in der die Grausamkeit des dritten Reichs immer mehr verleugnet wird, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus wieder um sich greifen und politische Parteien die Angst vor Überfremdung als Thema aufgreifen, sind solche Bücher wichtiger denn je. Wir dürfen nicht vergessen!
Titel: NSA
Verlag: Bastei Lübbe, TB, 795 Seiten
ISBN: 9783404179008

3 Kommentare:

  1. Hi Petra!

    Schön dass dich das Buch auch so begeistern konnte - ich fand es auch klasse, wie Eschbach Vergangenheit, Gegenwart und (nicht so ferne) Zukunft zusammen gebracht hat. Und vor allem wieder sehr aktuelle Themen benennt, die vielen gar nicht bewusst ist, so scheint es mir zumindest. Grade auch was das bargeldlose Zahlen betrifft ...

    Die 1 Sterne Rezensionen, die versteh ich auch nicht :D Klar hat er nicht alles reingepackt, das geht ja auch nicht, sonst würden 20 Bände draus werden - aber er hat alles so angeschnitten was wichtig war, dass man einen guten Eindruck und Einblick hatte.

    Das mag ich so an seinen (meisten) Büchern, die aktuellen Themen in super spannende Geschichten verpackt!

    Liebste Grüße, Aleshanee

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  2. Ich habe damals als erstes das Jesus Video gelesen, dann die 1 Billionen Dollar Note..und dann hatte er mich. Ich finde aber, er ist gewachsen und reifer geworden, die Themen aktueller und ernster. Aber immer spannend geschrieben. Dazu kommt, dass er so total nett ist, wenn man ihn trifft.

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    1. Ich fand die früheren Bücher auch schon sehr "reif", wenn ich das so betiteln kann. Grade das Jesus Video oder 1 Billion Dollar sind ja schon etwas älter, aber haben es schon ganz schön in sich. Ich mag auch Todesengel von ihm sehr und die Mars-Reihe

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