14 Dezember 2019

Das Kuckucksei von C.J. Cherryh


Der Shonunin Duun und der Junge Dorn leben sechzehn Jahre völlig isoliert in Sheon, einem Landsitz abseits des städtischen Lebens.
Der Junge kennt niemanden außer seinem alten Betreuer. Je älter das Kind wird, desto mehr erkennt er die Unterschiede zwischen sich und seinem Lehrmeister. Dieser verfügt über ein Fell, das den ganzen Körper überzieht, scharfe spitze Zähne und nur vier Finger. Dorn ist sich aber sicher, dass es in der Stadt noch andere wie ihn gibt und die äußerlichen Unterschiede nicht von Belang sind. Weder dementier noch bestätigt Duun diese Annahme. Die Ausbildung des Jungen ist hart, fast grausam. Duun möchte seinen Schützling zu einem Hatani ausbilden, einem Meisterkämpfer, wie er einer ist. Zu einem Mann, der nur mit dem Verstand entscheidet und sich durch Gefühle nicht beeinflussen lässt.
Oft muss sich Duun folgenden Satz anhören: " Du darfst nicht sagen, dass Du es nicht kannst! Du bist so. Die Welt wartet nicht auf Deine Launen."

Als der Jungen sechzehn Jahre alt ist, müssen der Meister und sein Schützling Sheon verlassen. In der Stadt angekommen, stellt Dorn zu seinem Entsetzen fest, dass er das einzige Wesen ist, das anders ist. Er hat gelernt, die Mimik eines Shonunin zu deuten und er erkennt Angst und Abscheu in den Mienen seiner Gegenüber. Aber er hat einen Vorteil, er ist Hatani.
Auf seinen bohrenden Fragen hin verweigert Duun ihm die Antwort auf seine Herkunft und den Sinn seiner Existenz. Dorn weiß nicht, welches Wagnis Duun auf sich genommen hat, um ihn großzuziehen.
Doch es kommt der Tag der Prüfung, an der sich zeigen wird, ob sich dieses Wagnis gelohnt hat.
Kommentar:
Zu Beginn seines Lebens weiß Dorn nichts von der Einsamkeit und Isolation,die ihn später umgeben wird. Er liebt Duun aus ganzem Herzen, er kennt nichts anderes als ihn und die Mediziner, die ab und zu vorbei schauen, um ihn zu untersuchen. Die erste Hälfte der Geschichte umfasst seine Ausbildung und Erziehung auf Sheon, die erfüllt ist mit Strenge aber auch mit Liebe. Duun lässt sein altes Leben hinter sich, um den Jungen zu erziehen. Ihn zum Hatani auszubilden ist ein Risiko aber er weiß, dass Dorn nur als Hatani akzeptiert werden wird. Ein Hatani erkennt seinesgleichen an, ohne Vorbehalte, ohne Blick auf die Herkunft oder Vorgeschichte. Doch die Ausbildung ist hart, immer wieder fordert er den Jungen heraus, stellt ihn vor fast unlösbare Aufgaben, bis hin zu einem Kampf um das nackte Überleben. Die Autorin schildert dieses Phase der Entwicklung des Jungen mit sehr gefühlvollen und warmherzigen Worten. Der Leser sieht förmlich, wie diese zwei sehr unterschiedliche Wesen ohne Vorurteile und Scheu eine Bindung eingehen, sich so akzeptieren, wie sie sind, ohne die Unterschiede zwischen sich als Hindernis ihrer Freundschaft zu sehen.
Diese Phase der Ausbildung endet, als Duun mit Dorn in die Stadt zurückkehrt. Der Junge, der das freie Leben in der Natur gewöhnt ist, vermisst die Düfte und Geräusche des Waldes. Er fühlt sich fremd in der Stadt, in der die Behausungen 'zig Stockwerke hoch sind und in den Räumen nur eine Illusion eines Waldes oder eines Meeres erzeugt wird. Er fühlt sich eingeengt und fremd. Dieses Gefühl verstärkt sich noch, als er seine Mitschüler kennenlernt. Diese wurden gezielt ausgewählt, um ihm zu helfen aber auch, um ihn zu beschützen. Dorn spürt ihre Abneigung und ihre Furcht. Auch wenn sie diese Gefühle nach und nach ablegen, bleibt er ein Außenseiter. Bis er Sagot trifft, die älteste Shonunin, die er je getroffen hat. Mit ihrer Weisheit und ihrem Verständnis gewinnt sie das Herz und die Zuneigung des Jungen. Bei ihrer ersten Begegnung sagt sie: " Ich denke, Du schätzt Dich selbst nicht richtig ein. Es ist schön und gut ein Hatani zu sein  aber Du bist nicht nur das, weißt Du, genauso wenig, wie Du nur diese beiden Augen bist oder diese beiden Hände. Du weißt, dass ein Hatani vieles kann aber wenn andere Dinge auftreten - nun, die Vernunft kann nicht alles lösen."
Sie erzählt ihm von den Sternen, von Monden und anderen Planeten und nach und nach nimmt sie die Stelle von Duun ein, von dem sich Dorni immer mehr entfremdet. Zu seinem Entsetzen beginnen die medizinischen Untersuchungen, die er als Kind über sich ergehen lassen musste, erneut. Sie sind anders und schlimmer als früher, sie bescheren ihm Schmerzen und seltsame Träume doch stets ist Sagot da um ihn zu trösten und aufzumuntern. In Gegenwart seines alten Lehrmeisters kann und darf er seine Gefühle nicht zeigen, denn ein Hatani lebt nur mit dem Verstand. Trotzdem kann Duun in Dorn lesen, wie in einem Buch, er kennt den Jungen zu gut und obwohl ihn der Schmerz und der Kummer nicht unberührt lassen, spricht er niemals Trostworte. Er stellt ihn für immer neue Herausforderungen und sagt nur: "Du darfst nie sagen, dass Du es nicht kannst".
Je älter Dorn wird, desto mehr erkennt er, dass nicht alle Shonunin mit der Entscheidung Duuns einverstanden sind, ihn zu erziehen. Politische Gruppen, die um eine Vormachtstellung ringen, versuchen ihn zu diskreditieren, sogar ihn zu ermorden. Das zwingt Duun früher zu seinem finalen Schritt, der offenbart, welchen Sinn die Existenz Dorns hat.
Mich hat diese Erzählung ungemein gefesselt und berührt. C.J. Cherryh schreibt diese Geschichte zuerst aus der Sicht Duuns, später auch aus der Sicht des Jungen. Das ist nur logisch, denn Duun könnte dem Leser niemals die Gefühle und Empfindungen vermitteln, die Dorn durchlebt.. Er ist Shonunin und Hatani und somit und völlig fremd. Die Hatani gleichen den Samurai des alten Japan, die für Ehre, Stolz und Aufopferung leben. Nichtsdestotrotz ist seine Zuneigung zu dem Jungen spürbar, was zuerst lediglich eine Aufgabe war, wird zu einer Freude.
Die Geschichte kommt sehr ruhig daher, das Zusammenspiel der beiden Charaktere liegt im Vordergrund, ihre Gedanken, Gefühle und Motivationen werden geschildeter. Es passiert nicht viel und tatsächlich hat die Geschichte auch absolut nichts mit dem Klappentext zu tun. Ich weiß nicht, wer dieses Text verfasst hat, er führt in die Irre und daher sind sicherlich einige Leser enttäuscht, die etwas anderes erwartet haben. Es finden keine Raumschlachten statt, es gibt keine feindseligen Aliens, die besiegt werden müssen und keine fortschrittliche Technologien. Erst ganz zum Schluss des Buches wird deutlich, auf was der Klappentext abzielt.
Das Buch hat mittlerweile über 30 Jahre auf dem Buckel aber die Erzählung ist zeitlos. Obwohl es mit enemy mine verglichen wird, finde ich den Vergleich nicht passend. Denn dort begegnen sich zwei Rassen schon als Feinde, während das Verhältnis zwischen Duun und Dorn eher familiär ist. Da Dorn in Isolation aufwächst hat er gegenüber der Andersartigkeit seines Erziehers keinerlei Vorurteile und auch er erfährt zuerst keine Ressentiments.
Der Schreibstil der Autorin ist etwas gewöhnungsbedürftig aber ich mag ihn. Schnörkellose einfache Sätze, keine unnötigen Ausschmückungen und Abschweifungen. Eine Grande Dame der Science Fiction der siebziger und achtziger Jahre, die man durchaus mit Ursula K. LeGuin vergleichen kann.
Das Buch beinhaltet zahlreiche schwarzweiß Illustrationen von Jon Stewart, die wunderbar zu dieser Geschichte passen. Das Cover entspricht dem Stil der frühen achtziger Jahre und zeigt Duun zusammen mit Dorn.
Es gibt mittlerweile eine Neuauflage als Ebook, ich habe jedoch die alte Ausgabe von 1988 gelesen und kann daher nicht sagen ob die Geschichte unter einer Neuübersetzung gelitten hat, wie leider so manch anderes ältere Buch (z.B. Joe Halderman)
Titel: Das Kuckucksei
Autor: C.J. Cherryh
Verlag: Heyne, TB, 282 Seiten
ISBN: 9783453027507

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