Die
Geschichte beginnt mit der Beerdigung Theodore Roosevelts. John Schyler Moore
ist Polizeireporter bei der New York Times und einer der trauernden Gäste. Roosevelt
war sein Freund und Vorbild, einer der tapfersten und integersten Menschen, die
John kannte. Die Ehrlichkeit und Charakterstärke des verstorbenen Präsidenten
machte ihn nicht nur zu einem rechtschaffenen Führer der USA. Zu Beginn seines
Aufstiegs war Roosevelt Commissioner der New Yorker Polizei.
Der
Reporter erinnert sich an einen erschütternden Fall, einer Mordserie an kleinen
Jungen, die in Freudenhäusern arbeiteten. Roosevelt war an der Aufklärung
beteiligt und räumte dem außergewöhnlichen Ermittlerteam alle Schwierigkeiten
aus dem Weg, damit sie den Mörder fassen konnten.
Kopf
dieses Teams war Dr. Laszlo Kreisler, eine Koryphäe auf dem Gebiet der
forensischen Psychologie, der mit seinen innovativen Ideen und dem Verständnis
der menschlichen Psyche seine Mitstreiter oft an die Grenzen ihres Verstandes
und ihres Vorstellungsvermögens brachte.
Ihm
zu Seite standen die tapfere Sara Howard, einen junge Frau, die sich den
Konventionen der Gesellschaft nicht beugen möchte. Und die Brüder Isaacson. Marcus
Isaacson hat Kriminalwissenschaften studiert, sein Bruder Lucius
Gerichtsmedizin. Damit sind die beiden Polizisten durch ihre Bildung und ihren
jüdischen Glauben zwei Außenseiter im Polizeidienst, die neue Wege nicht
scheuen und neuartige Ermittlungsmethoden auszuprobieren bereit sind. John
verfügt durch seine Tätigkeit als Reporter über viele Kontakte, unter anderem
zur New Yorker Unterwelt. Zu dieser Truppe gesellen sich noch Cyrus Montrose
und Stevie Taggert. Beide arbeiten im Haus des Doktors und stehen ihm in allen
Belangen treu zur Seite.
Das
New York des Jahres 1896 ist ein Moloch. Einwanderer aus den europäischen
Ländern überfluten die Stadt, sie wächst ungebremst. New York ist ein
Schmelztiegel vieler Nationen. Armut und Elend sind das alltägliche Bild, die
Verbrechensrate steigt ins unermessliche. Statt die Verbrechen zu bekämpfen und
Hilfe zu leisten, hält die Polizei die Hand auf und bereichert sich an dem
Elend ihrer Mitmenschen. Bildung und die sozialen Umstände liegen auf dem
untersten Niveau. Daher begegnet man dem neuen Commissioner mit Hass und Misstrauen.
Roosevelt möchte die alten, vertrockneten Strukturen und Seilschaften
aufbrechen und moderne Erkenntnisse und
Wissenschaften als Ermittlungsmethoden einführen. Viele kritisieren ihn auf
Grund dessen und legen ihm Steine in den Weg. Die Sonderkommission um Dr.
Kreisler muss daher im geheimen operieren.
Zitat:
"Roosevelt ließ nicht nur jeden einzelnen Polizisten auf Herz und Nieren
durchleuchten und zwang dadurch viele zur Kündigung, er bestand auch auf die
Aufnahme von Menschen aus bisher kaum berücksichtigten Gruppen, um dadurch die
Macht von Cliquen und "Stammesführern" wie Thomas Byrnes und anderen
zu brechen."
Die
Truppe ermittelt "rückwärts". Da sie von dem Täter nichts wissen,
versuchen sie auf Grund der Opfer, den Tatorten und der zeitlichen Abfolge der
Morde Rückschlüsse auf den Täter zu ziehen. Warum vergreift er sich nur an
jungen, männlichen Prostituierten? Warum legt er die Leichen immer in der von
fließenden Wasser ab? Welche Bedeutung haben die Tage, an denen er mordet und
was bestimmt den zeitlichen Abstand? Diese Ermittlungsmethode ist sehr mühsam
und erfordert viel Recherche und Kleinarbeit und führt die Freunde oft an ihre
Grenzen. Sie bedienen sich bisher nicht
anerkannter wissenschaftlicher Methoden, wie der Handschriftenanalyse oder der Psychoanalyse.
Zitat:"
Von jetzt an, sagte er (Dr. Kreisler), müssten wir sämtliche vorgefassten
Meinungen über menschliches Verhalten über Bord werfen. Wir dürften die Welt
nicht mehr durch unsere eigenen Augen sehen, sie nicht mehr nach unseren
eigenen Werten beurteilen, sondern müssten in die Haut des Mörders
schlüpfen."
Es
ist sehr interessant zu lesen, gegen welche Widerstände die Ermittler damals zu
kämpfen hatten. Was heute selbstverständlich und reine Routine ist, wurde
damals als Scharlatanerie abgetan, niemand konnte sich vorstellen, dass diese
neuen Methoden jemals zur alltäglichen Polizeiarbeit gehören werden. Zur
Beweisführung vor Gericht konnten die auf diese neuartige Weise gewonnen
Erkenntnisse nicht vorgebracht werden, da kein Richter sie anerkannte. So blieb
Dr. Kreisler und seinem Team nur die Hoffnung, sich dem Mörder immer mehr zu nähern, so dass sich
dieser dann verrät oder eindeutige Beweise am Tatort zurück lässt.
Zitat:
"Da haben Sie wahrscheinlich recht. Und das erklärt auch, warum die
Charakteranalyse über die Handschrift auch nicht als Wissenschaft anerkannt ist.
Das
Bild, welches der Autor zeichnet, ist erschreckend. Unvorstellbar, dass aus
diesem Sündenpfuhl des Jahres 1896 heute eine der schönsten und interessanten
Städte der Welt geworden ist. Sicherlich gibt es auch heute noch eine Unzahl
von Verbrechen. Doch die Schilderung des Elends und der Armut ist bedrückend.
Kinderprostitution, Drogenhandel, Mord und Totschlag fand vor den Augen der
Polizei und der Öffentlichkeit statt, die ihre Augen verschloss, die Hand
aufhielt oder Angesicht der Brutalität einfach nur hilflos war. Die Banden, die
New York unter sich aufgeteilt hatten, waren stark und schafften es immer
wieder, Polizisten durch Drohungen oder auch Anwendung von Gewalt
einzuschüchtern. Kinder waren die begehrten Opfer dieser Banden. Oftmals ging
es den Jungen und Mädchen besser als zu Hause, sie bekamen keine Schläge,
hatten ein Dach über den Kopf und bekamen genug zu essen. Da kam ihnen der
Verkauf ihres Körpers oft als das kleinere Übel vor.
Zitat:
"So traurig es war, so hatte ich doch gegen Josephs Entscheidung keine
Einspruchsmöglichkeit. Im Jahre 1896 konnte man nicht über den Kopf des Jungen
hinweg irgendeine Regierungsbehörde, wie sie in den letzten Jahren geschaffen
wurden, dazu bewegen, ihn gewaltsam aus dem "Golden Rule" zu entfernen.
Damals hatte die amerikanische Gesellschaft noch nicht erkannt, (und auch heute
ist das noch nicht allen klar) dass Kinder für ihre Handlungen nicht voll
verantwortlich sind. Man hielt Kinder damals für kleine Erwachsene. Wenn sie
ihr Leben dem Laster widmen wollte, dann war das nach den Gesetzen von 1896
ihre Sache und niemand konnte sie davon abhalten."
Obwohl
die Handlung teilweise etwas langatmig war, vermochte mich die Geschichte
dennoch zu fesseln. Während der
Ermittlungen wächst das Team zusammen, bildet eine Front gegen die Ignoranz und
die Angst ihrer Mitmenschen. Sie öffnen ihren Geist für diese neuen Ideen und
betreten bisher unbekannte Pfade der Ermittlungsarbeit. Der immense Aufwand ist
für uns kaum noch vorstellbar, setzen wir uns doch einfach an einen Computer,
um Recherche zu betreiben oder rufen an, wenn wir Informationen brauchen. Hier sind die Freunde oft tagelang unterwegs,
um einer Spur nachzugehen, die dann doch letztendlich ins Leere führt.
Für
mich war es ein sehr spannendes Buch und ich freue mich, dass diese Geschichte
nun als Serie verfilmt wurde, mit Daniel Brühl als Dr. Kreisler. Daher gibt es
mittlerweile auch eine Neuauflage des Buches, ebenfalls von Heyne.
Titel:
Die Einkreisung
Autor:
Caleb Carr
Verlag:
Heyne, TB von 1994,
ISBN:
9783453099311
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Achtung Datenschutz! Mit dem Abschicken des Kommentars nehme ich zur Kenntnis und bin einverstanden, dass meine Daten von Blogspot gespeichert und weiterverarbeitet werden!