Thomas Senlin ist ein sehr ernsthafter,
etwas humorloser Dorfschullehrer, der von seinen Schülern respektiert aber
selten geliebt wird. Weder er, noch seine Schüler oder die Bewohner seines
Dorfes hätten sich träumen lassen, dass er jemals den Bund der Ehe eingehen
wird. Doch Marya, die das genaue Gegenteil ihres Mannes ist, blickt hinter die
Fassade des schüchternes Thomas und liebt ihn schon seit ihrer Schulzeit. Sie
ist eine lebendige, lebensbejahende und unternehmungslustige Frau mit einem
wachen Geist, die ihren Mann immer wieder vor neue Herausforderungen stellt.
Um ihre eine Freude zu machen bucht
Thomas eine Hochzeitsreise zum Turm von Babel. Jahrelang hat er seinen Schülern
von diesem Wunderwerk der Baukunst mit seinen technischen Raffinessen erzählt.
Für ihn ist dieser Turm ein Weltwunder, die Wiege der Zivilisation.
Schon bei der Ankunft folgt die erste
Ernüchterung. Eine brodelnde, wogende Masse an Menschen wälzt sich auf den Turm
zu, es gibt kaum ein Durchkommen und die Luft ist verpestet von diversen
Ausdünstungen. Marya lässt sich ihren Optimismus und ihre gute Laune nicht
nehmen und zieht los, um sich ein Kleid zu kaufen, während Thomas auf sie
wartet, da er sich nicht in dieses Gewühl stürzen möchte. Er wartet vergeblich
auf die Rückkehr seiner Gattin, der Markt wechselt stündlich sein Gesicht, der
vereinbarte Treffpunkt ist nicht wieder zu erkennen und Marya bleibt
verschollen.
Thomas bleibt nichts anderes übrig als
den Turm alleine zu betreten und sich bis zum dritten Ring vorzuarbeiten, wo er
und seinen Frau die Flitterwochen verbringen wollten. Er hofft, dass sich Marya
ebenfalls dorthin begeben hat und er sie dort finden wird. Eine abenteuerliche
und merkwürdige Reise beginnt.
Kommentar:
Das wirklich absurdeste an dem Cover ist
die Anmerkung, dass Thomas Senlin der liebenswerteste Held ist, seit ein
gewisser Hobbit Beutelsend verlassen hat. An Thomas Senlin ist nichts
liebenswert und ein Vergleich mit Bilbo Beutlin ist absolut unangebracht. Das
einzig, was dieses Bücher gemeinsam haben ist ein Turm.
In der Welt Ur ist der Turm das Zentrum,
das Bauwerk, dass alle Menschen fasziniert und anzieht wie die Motten. Es gibt
einen allgemeinen Führer durch den Turm aber Tom muss bald erkennen, dass
zwischen Reiseführer und Realität Welten
klaffen. Der Turm ist in Ringe unterteilt und der unterste Ring ist ein
Schmelztiegel aus Armut, Diebstahl, Prostitution und Elend. Es dauert nicht
lange, bis der Lehrer ausgeraubt und seine Naivität ausgenutzt wird. Die
hoffnungslosen, verlorenen, trostlosen und grotesken Gestalten bilden einen
starken Kontrast zu dem biederen Dorfschullehrer, der blind den Menschen
vertraut, die in diesem Chaos ein freundliches Wort an ihn richten und ihm
Hilfe anbieten.
Ich habe 200 Seiten gebraucht, bis ich
von dem Roman wirklich gepackt war, dann aber war ich gefesselt von der
Wandlung der Hauptfigur. Thomas ist steif, ängstlich, emotionslos, naiv,
überkorrekt aber auch loyal und ehrlich. Nach und nach, Ring um Ring, den er
erklimmt, streift er seine Tugenden ab und entpuppt sich als
Überlebenskünstler. Im Turm gibt es keine Freundschaften, jeder ist auf sich
und seinen Vorteil bedacht, Tom ist in dieser Welt ein Exot. Mit der Zeit
streift auch er die Tünche der Zivilisation ab aber er verliert nie seine
Menschlichkeit und bleibt sich selbst treu.
Auf seinem Weg durch die Ringe trifft er
einige Personen, die eine wichtige Rolle bei der Suche nach Marya spielen. Adam
Boreas, der ihn ausraubt. Finn Goll, der ihm einen klugen Ratschlag gibt,
Edith, mit der eine Nacht in einer Zelle verbringt, John Tarrou, einen Lebeman
mit dem er endlich wieder intelligente Gespräche führen kann und Philip Ogier,
einen Maler, der erste Mann, den er Freund nennt.
Wie der Autor diese Figuren
zusammenführt und die Geschichte mit Leben füllt ist faszinierend und fesselnd.
Was zu Beginn etwas fade, einfach und auch langatmig wirkt, entpuppt sich als
spannender und fesselnder Roman voller Überraschungen. Als Tom selber zur Feder
greift und einen Art Tagebuch führt, kommt die Handlung erst richtig in Fahrt, wird
persönlicher und Tom gewinnt endlich die Sympathien des Lesers.
Das Buch einem
Genre zuzuordnen ist etwas schwierig, an Hand der technischen
Entwicklung und der Nutzung von Dampfmaschinen würde ich es als Steam-Punk
titulieren. Leider war mir nicht bewusst, dass es sich um den ersten Band einer
Serie handelt. Die erste Etappe der Reise und Toms Entwicklung sind hier aber
gut abgeschlossen und bilden ein logisches Ende. Die im Cover befindliche Illustration ist sehr schön und vermittelt dem Leser eine ungefähre Vorstellung der gewaltigen Höhe des Turms. Zu dem Cover brauche ich ja nichts mehr zu sagen, da es für mich der Anreiz war, das Buch überhaupt in die Hand zu nehmen. Passt
Ich habe das Buch nur auf Grund des
Covers und des Klappentextes gekauft. Und natürlich vor dem biblischen
Hintergrund, wie sich ein Turm Babel wohl entwickelt hätte, hätte es ihn je gegeben.
Der Roman ist nicht ganz das, was ich erwartet habe aber die Idee und die
Umsetzung sind wirklich gelungen. Die Sprache wirkt, wie der Protagonist, zu
Beginn etwas steif und humorlos, das ändert sich aber im Laufe der Geschichte. Wer jetzt neugierig ist, dem empfehle ich den Link zur Serie. Die dortigen Informationen sind wesentlich aussagekräftiger als die in Deutschland gefundenen.
Titel: Im Turm
Reihe: Die Bücher von Babel
Autor: Josiah Bancroft
Verlag: Heyne, Softcover, 446 Seiten
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