07 September 2018

Im Turm von Josiah Bancroft


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Thomas Senlin ist ein sehr ernsthafter, etwas humorloser Dorfschullehrer, der von seinen Schülern respektiert aber selten geliebt wird. Weder er, noch seine Schüler oder die Bewohner seines Dorfes hätten sich träumen lassen, dass er jemals den Bund der Ehe eingehen wird. Doch Marya, die das genaue Gegenteil ihres Mannes ist, blickt hinter die Fassade des schüchternes Thomas und liebt ihn schon seit ihrer Schulzeit. Sie ist eine lebendige, lebensbejahende und unternehmungslustige Frau mit einem wachen Geist, die ihren Mann immer wieder vor neue Herausforderungen stellt.
Um ihre eine Freude zu machen bucht Thomas eine Hochzeitsreise zum Turm von Babel. Jahrelang hat er seinen Schülern von diesem Wunderwerk der Baukunst mit seinen technischen Raffinessen erzählt. Für ihn ist dieser Turm ein Weltwunder, die Wiege der Zivilisation. 


Schon bei der Ankunft folgt die erste Ernüchterung. Eine brodelnde, wogende Masse an Menschen wälzt sich auf den Turm zu, es gibt kaum ein Durchkommen und die Luft ist verpestet von diversen Ausdünstungen. Marya lässt sich ihren Optimismus und ihre gute Laune nicht nehmen und zieht los, um sich ein Kleid zu kaufen, während Thomas auf sie wartet, da er sich nicht in dieses Gewühl stürzen möchte. Er wartet vergeblich auf die Rückkehr seiner Gattin, der Markt wechselt stündlich sein Gesicht, der vereinbarte Treffpunkt ist nicht wieder zu erkennen und Marya bleibt verschollen.
Thomas bleibt nichts anderes übrig als den Turm alleine zu betreten und sich bis zum dritten Ring vorzuarbeiten, wo er und seinen Frau die Flitterwochen verbringen wollten. Er hofft, dass sich Marya ebenfalls dorthin begeben hat und er sie dort finden wird. Eine abenteuerliche und merkwürdige Reise beginnt.

Kommentar:
Das wirklich absurdeste an dem Cover ist die Anmerkung, dass Thomas Senlin der liebenswerteste Held ist, seit ein gewisser Hobbit Beutelsend verlassen hat. An Thomas Senlin ist nichts liebenswert und ein Vergleich mit Bilbo Beutlin ist absolut unangebracht. Das einzig, was dieses Bücher gemeinsam haben ist ein Turm.
In der Welt Ur ist der Turm das Zentrum, das Bauwerk, dass alle Menschen fasziniert und anzieht wie die Motten. Es gibt einen allgemeinen Führer durch den Turm aber Tom muss bald erkennen, dass zwischen  Reiseführer und Realität Welten klaffen. Der Turm ist in Ringe unterteilt und der unterste Ring ist ein Schmelztiegel aus Armut, Diebstahl, Prostitution und Elend. Es dauert nicht lange, bis der Lehrer ausgeraubt und seine Naivität ausgenutzt wird. Die hoffnungslosen, verlorenen, trostlosen und grotesken Gestalten bilden einen starken Kontrast zu dem biederen Dorfschullehrer, der blind den Menschen vertraut, die in diesem Chaos ein freundliches Wort an ihn richten und ihm Hilfe anbieten.
Ich habe 200 Seiten gebraucht, bis ich von dem Roman wirklich gepackt war, dann aber war ich gefesselt von der Wandlung der Hauptfigur. Thomas ist steif, ängstlich, emotionslos, naiv, überkorrekt aber auch loyal und ehrlich. Nach und nach, Ring um Ring, den er erklimmt, streift er seine Tugenden ab und entpuppt sich als Überlebenskünstler. Im Turm gibt es keine Freundschaften, jeder ist auf sich und seinen Vorteil bedacht, Tom ist in dieser Welt ein Exot. Mit der Zeit streift auch er die Tünche der Zivilisation ab aber er verliert nie seine Menschlichkeit und bleibt sich selbst treu.
Auf seinem Weg durch die Ringe trifft er einige Personen, die eine wichtige Rolle bei der Suche nach Marya spielen. Adam Boreas, der ihn ausraubt. Finn Goll, der ihm einen klugen Ratschlag gibt, Edith, mit der eine Nacht in einer Zelle verbringt, John Tarrou, einen Lebeman mit dem er endlich wieder intelligente Gespräche führen kann und Philip Ogier, einen Maler, der erste Mann, den er Freund nennt.
Wie der Autor diese Figuren zusammenführt und die Geschichte mit Leben füllt ist faszinierend und fesselnd. Was zu Beginn etwas fade, einfach und auch langatmig wirkt, entpuppt sich als spannender und fesselnder Roman voller Überraschungen. Als Tom selber zur Feder greift und einen Art Tagebuch führt, kommt die Handlung erst richtig in Fahrt, wird persönlicher und Tom gewinnt endlich die Sympathien des Lesers.
Das Buch  einem  Genre zuzuordnen ist etwas schwierig, an Hand der technischen Entwicklung und der Nutzung von Dampfmaschinen würde ich es als Steam-Punk titulieren. Leider war mir nicht bewusst, dass es sich um den ersten Band einer Serie handelt. Die erste Etappe der Reise und Toms Entwicklung sind hier aber gut abgeschlossen und bilden ein logisches Ende. Die im Cover befindliche Illustration ist sehr schön und vermittelt dem Leser eine ungefähre Vorstellung der gewaltigen Höhe des Turms. Zu dem Cover brauche ich ja nichts mehr zu sagen, da es für mich der Anreiz war, das Buch überhaupt in die Hand zu nehmen. Passt
Ich habe das Buch nur auf Grund des Covers und des Klappentextes gekauft. Und natürlich vor dem biblischen Hintergrund, wie sich ein Turm Babel wohl entwickelt hätte, hätte es ihn je gegeben. Der Roman ist nicht ganz das, was ich erwartet habe aber die Idee und die Umsetzung sind wirklich gelungen. Die Sprache wirkt, wie der Protagonist, zu Beginn etwas steif und humorlos, das ändert sich aber im Laufe der Geschichte. Wer jetzt neugierig ist, dem empfehle ich den Link zur Serie. Die dortigen Informationen sind wesentlich aussagekräftiger als die in Deutschland gefundenen.
Titel: Im Turm
Autor: Josiah Bancroft
Verlag: Heyne, Softcover, 446 Seiten

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