27 Januar 2024

Der Buchspazierer von Carsten Henn

Carl Kolhoff ist ein alter Mann, festgefahren in seiner täglichen Routine. Veränderungen sind ihm ein Gräuel, der Fortschritt ist an ihm vorbeigelaufen. Er ist ein ehemaliger Buchhändler, Bücher sind seine Liebe und seine Leidenschaft, mit ihnen hat er sein ganzes Leben verbracht.
Jetzt, im Alter, bringt er den Kunden der Buchhandlung „am Stadttor“ bestellte Bücher nach Hause. Auf dem täglich selben Weg, in der stets gleichen Reihenfolge besucht er diese teils seltsamen Kunden, denen er passende Namen von Charakteren aus seinen Lieblingsbücher gegeben hat. Da gibt es einen Mr. Darcy, der in einem protzigen Haus einsam vor sich hinlebt, da gibt es eine Frau Langstrumpf, die sich tägliche seltsame Zitate für ihn einfallen lässt oder eine Effie Briest, die eine unglückliche Ehe führt.
Dann geschah es! Zitat von Seite 36: Plötzlich spazierte ein kleines Mädchen mit dunklen Locken an Carls Seite und passte die Schritte an seine an.
Mit dem Auftauchen der nervtötend plappernden neunjährigen Sascha verändert sich Carls Leben und das seiner Kunden von Grund auf.
 
Kommentar:
Was soll man zu so einem Buch sagen? Es handelt von Büchern, von der Liebe zu Büchern  und von Menschen, die Bücher lieben. Ich könnte so viele wunderbare Zitate aus diesem Buch hier in die Rezension einfügen aber dann müsste ich das  das halbe Buch zitieren.
Carsten Henn ist hier etwas herzerwärmendes und Wunderschönes gelungen: Ein Buch, eine Geschichte, in der man sich komplett verlieren kann. Man ist traurig, wenn das Buch zu Ende ist und möchte so gerne noch mehr von Mr.Darcy, Herkules,  Schwester Hildegard (die Carl Amaryllis nennt) oder Dr. Faustus und all die anderen Buchempfänger erfahren.
Carl ist ein ewig gestriger, mit der neuen und modernen Zeit kann er nicht viel anfangen. Die Anzahl seiner Kunden, die er beliefert, nimmt immer mehr ab und er weiß, dass seine Tage als „Buchspazierer“ gezählt sind. So nennt die kleine Sascha ihn, die sich wie eine Klette an seine Fersen heftet. Und sie stiehlt nicht nur ihm ganz unauffällig sein Herz, auch seine Kunden schließen das Mädchen in ihr Herz und sie öffnen sich ihr. Menschen, die bisher sehr einsam vor sich hingelebt haben, beginnen sich zu öffnen, wie Blumen, die sich der Sonne entgegenstrecken.
Es ist eine langsame, sehr berührende Geschichte, die nie kitschig oder übertrieben wirkt. Da, wo Carl langsam ist, gibt Sascha das Tempo vor, sie ist neugierig auf die Welt, er ist ihrer eher überdrüssig, er weiß, dass er ein Faktotum ist.
Hier einer der schönsten Dialoge in diesem Buch. Bildgewaltig und herzzerreißend:
 
Sascha zu Karl:
"Du siehst anders aus."
"Ich bin aber derselbe."
"Du hast andere Augen."
"Ich habe nur das eine Paar und das kann man nicht wechseln."
 "Hast du geweint?"
 "Nein."
 "Hast du vielleicht innen drin geweint? Also nicht mit Tränen in den Augen, sondern so mit dem Herzen?"
 "Mit Tränen im Herzen?"
 "Wenn das geht, dann ja."
 "Warum sollten dann meine Augen anders aussehen?"
 "Die schämen sich, weil sie ja eigentlich das Weinen übernehmen müssten."
 
Diese kindliche Unbefangenheit, Direktheit und Naivität ist es, die bei Carl und seinen Kunden die Mauern einreißen.
Doch das Buch hat auch traurige Momente, die ebenso zum Leben gehören wie die Freude. Sie haben mir teilweise die Tränen in die Augen getrieben, ich habe so heftig mitgelitten wie bei kaum einem anderen Buch.
Jede Zeile, jede Seite ist perfekt. Das Buch hat nur 223 Seiten, kein Wort ist überflüssig, sie fließen zusammen wie Sahne und Kaffee in perfekter Harmonie. 
Manchmal entscjeidet das Schicksal, dass sich zwei Menschen treffen.
 
Fazit:
Wie ich oben schon schrieb: Ein berührendes Buch über Menschen, die Bücher lieben für Menschen, die Bücher lieben. Eine absolute Leseempfehlung.
 
Titel: Der Buchspazierer
Autor: Carsten Henn
Verlag: Pendo/Piber, HC, 223 Seiten
ISBN:9783866124776

3 Kommentare:

  1. Ein Genre, das man selten bei dir findet! =) Umso mehr freut es mich, dass dir das Buch so gut gefallen hat! Ich mochte es ebenfalls sehr!
    Liebe Grüße
    Martina

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  2. Hallo Martina, ja das stimmt und hätte ich es bei den Top ten thursday nicht gesehen, wäre es garnicht in meinen Aufmerksamkeitsradius gerutscht. Aber es war wirklich herzerwämend. Manchmal muss man über den Tellerrand schauen. Liebe Grüße und einen schönen Sonntag. Petra

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  3. Eine schöne und tolle Geschichte. Carl hat seinen Job und das Austragen geliebt...

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