Am »gare du roi« in Londres steht ein einsamer
Mann am Bahnsteig, ohne jegliche Erinnerungen. Ein hilfsbereiter Reisender kümmert
sich um ihn und bringt ihn in die psychiatrische Klinik. Auf eine Suchmeldung hin
meldet sich Monsieur de Saint-Marie in der Klinik, der belegen kann, dass der
unbekannte fremde Mann Joe Tournier heißt und sein Leibeigener ist. Joe geht
mit diesem Mann, denn die Erinnerungen kehren nicht wieder und er weiß nicht,
wo er sonst hin soll. Im Haus von Monsieur Saint-Marie lebt auch Alice, Joes Ehefrau,
ebenfalls eine Leibeigene. Auch an sie kann sich Joe nicht erinnern. Er nimmt
ein Leben auf, von dem er das Gefühl hat, dass es nicht das seine ist und lebt
fortan mit einer Frau zusammen, die er nicht liebt. Seine Tochter Lily wird
geboren, die er abgöttisch liebt und die sein Halt und Anker im Leben ist.
Als Joe eines Tages eines Postkarte
erhält auf der steht: »Liebster Joe, komm nach Hause wenn Du Dich erinnerst. M.«
zweifelt Joe immer mehr an der Richtigkeit seines jetzigen Dasein. Diese Postkarte wurde vor 99 Jahren
abgesendet, auf der Vorderseite ist das Bild eines Leuchtturms abgebildet, der
in Joe ein vages Gefühl des Erkennens weckt.
Joe macht sich auf die Reise nach
Schottland, um den Leuchtturm zu finden und endlich die Wahrheit über sich
herauszufinden.
Kommentar:
Schon von »der Uhrmacher in der
filligree street« war ich restlos begeistert und auch hier hat Natasha Pulley es
wieder geschafft, dass ich die Welt um mich herum vergessen habe und mit Joe
zusammen das Rätsel seiner Herkunft lüften wollte. Die Geschichte beginnt sehr
langsam, doch vom ersten Moment an hatte Joe alle meine Sympathien. Die
Einsamkeit, die er ausstrahlt, geht einem ans Herz und man hofft für ihn, dass
er sein Leben und seine Erinnerungen wiederfindet. Obwohl Monsieur Saint-Marie
gut zu ihm ist und Alice eine junge und hübsche Frau ist, fühlt sich Joe in dem
Haus fehl am Platz. Mehrmals lässt er sich untersuchen. Seine Vergesslichkeit
nennt sich »epileptische paranemsie« und ist wohl ein häufig auftretendes
Phänomen, allerdings ist sein Fall einzigartig, denn seine »epileptische paranemsie«
dauert nun schon mehr als zwei Jahre an.
Als er die Postkarte erhält, hat er sich
schon teilweise mit seinem Leben arrangiert. Er arbeitet als Schweißer in der
Werkstatt von Monsieur de Meritens und absolviert dort auch eine
Leuchtturmwärterprüfung, denn die Firma stellt Turbinen und Ersatzteile für
alle Leuchttürme des Landes her. Näher wird er seinem Leuchtturm auf der seltsamen
Postkarte wohl nicht kommen, denkt er, obwohl der Leuchtturm »Eilean Mor« in
den Zuständigkeitsbereichs seines Arbeitgebers gehört.
Das Schicksal spielt mit Joe, denn eines
Tages fällt ausgerechnet auf diesem
Leuchtturm eine Maschine aus, die Leuchtturmwärter sind verschwunden und es
wird dringend jemand benötigt, der an dieses Ende der Welt fährt um den
Leuchtturm zu reparieren. Joe meldet sich freiwillig, denn er ist sich sicher,
dass dort seine verlorenen Erinnerungen und M. zu finden sind.
Mitzuerleben wie Joe nach jedem
Fitzelchen seiner Erinnerungen greift und verzweifelt versucht, sein
vergessenes Leben zu finden, ist spannend und traurig zugleich.
Die Geschichte spielt in den Jahren
1807, 1898 bis 1900 und 1797 (mir Rückblicken auf 1777). Es gibt einen »allwissenden
Erzähler«, so dass der Wechsel der Jahre (gleichzeitig Wechsel der Kapitel)
logisch und nachvollziehbar ist. Diese Zeitsprünge erfolgen zum Schluss
häufiger, weil die Ereignisse ineinander übergreifen und eine Wechselwirkung
besteht, die mit einigen Überraschungen aufwartet. Allerdings habe ich zwei
kleine Kritikpunkte. Den Versuch mit den Schildkröten habe ich nicht verstanden
(kann durchaus an mir liegen) und ich habe nicht verstanden, warum niemand Joe
die Wahrheit sagen durfte bzw. inwiefern das die Ereignisse beeinflusst hätte.
Die tragische-schöne Geschichte verfügt
durchaus auch über einen leisen, unterschwelligen Humor vor allem findet er
sich in den Gesprächen zwischen Kite und Joe.
Ein paar Zitate, warum mir die Sprache
der Autorin so gut gefällt:
Seite 105: »Nach einen Moment kamen
kleine Echos zu ihm zurück, die selbst auf Erkundung gegangen waren.«
Seite 168:» Soweit er wusste hatten Frauen
doch die gesamte Weltgeschichte hindurch von Glück sagen können, wenn man sie
überhaupt wie menschliche Wesen und nicht wie kostspielige Kühe behandelt
hatte, deren einzige relevante Körperteile jene waren, mit denen sie weitere
Männer hervorzubringen vermochten.«
Ich habe einige Rezensionen gelesen und diverse
Leserinnen schreiben, dass ihnen die Schlachtenszenen zu langatmig waren und
sich die Geschichte dadurch ziehen würde. Ich kann mich dem nicht anschließen.
Gerade die Schlachten sind entscheidend für die Entwicklung der Geschichte und sie
beeinflussen die Zukunft. Ein fiktives Frankreich herrscht über eine fiktives
London, die historisch belegten Tatsachen wie die Schlacht um Trafalgar finden
allerdings einen Weg in diesen Roman und die Autorin hat sehr gut recherchiert
und Fiktion und Wahrheit gekonnt miteinander verknüpft. Das hat mir auch in
ihrem ersten Roman schon so gut gefallen. Vieles wirkt vertraut, obwohl es eine
erfundene Geschichte ist und diese Vertrautheit lockt den Leser, spielt mit
ihm. Sicher spielt sich der meiste Teil der Geschichte auf Schlachtschiffen ab
aber auf mich hat das nicht langweilig gewirkt sondern eher interessant. Und
die ganze Zeit hofft man, dass Joe endlich herausfindet, wer er wirklich ist
und was ihn mit dieser Zeit, in der er landet und mit den Menschen dort
verbindet.
Ich habe gerade auf der Website der Autorin gesehen, dass sie noch weitere Bücher veröffentlicht hat. Dann hoffe ich, dass uns Klett-Cotta nich lange auf ein weiteres Buch warten lässt.
Fazit:
Eine wunderbar berührende Geschichte mit
Charakteren, die man mag. Leider kann der Übersetzer kein Genitiv, der hätte
die Geschichte nochmals angehoben.
Titel: Der Leuchtturm an der Schwelle
der Zeit
ISBN: 978-3608986365
Schönen guten Morgen!
AntwortenLöschenDas freut mich jetzt sehr dass dich diese Geschichte auch so begeistern und berühren konnte. Mich hat sie auch völlig in den Bann gezogen!
Ja, die Schildkröten... das ist halt so ein "Zeitreiseding", das für mich nie so wirklich logisch erklärt werden kann, weil es sich immer widerspricht :)
Auch dass man Personen nichts sagen darf kommt in dem Zusammenhang öfter vor, weil das Wissen alleine schon eben die Veränderungen bewirkt. Da fällt mir grade spontan Der goldene Kompass ein, wobei es da gar nicht um Zeitreisen geht. Aber eben das Phänomen, wenn man etwas weiß, dann beeinflusst es eben unser Handeln.
Aber total egal, zumindest für mich, denn ich fand es in dem Umfang ausreichend logisch und genial aufgebaut. Ich freu mich schon wenn was neues von der Autorin kommt!
Liebste Grüße, Aleshanee