10 Dezember 2019

Todessehnsucht von Petra Berger


Peter war fertig mit der Welt. Mal wieder. Er saß in dem kleinen Cafe Namens Elysium und ließ sein Leben Revue passieren. In den bisherigen 28 Jahren seines kläglichen Daseins hatte er nichts erreicht. Und nun hatte ihn noch sein bester Freund mit seiner Freundin betrogen. Bester Freund wohl eher nicht, denn beste Freunde taten so etwas nicht. Wenn er so über das vergangene Jahr nachdachte, hatte er allen Grund sich das Leben zu nehmen. Ach was, das vergangene Jahr, sein ganzes Leben war einfach nur beschissen.
Während er so Trübsal blies bemerkte er plötzlich, dass er nicht mehr alleine an seinem Tisch saß. Ein Mann unbestimmbaren Alters hatte ungefragt Platz genommen und lächelte ihn nun an. „Hallo“ grüßte er Peter und streckte seine Hand aus. „Mein Name ist Joe Black“. Als Peter weder die ausgestreckte Hand entgegennahm, noch etwas erwiderte, schmunzelte der Mann. „Kleiner Insiderwitz, natürlich heiße ich nicht Joe Black, was für ein alberner Name, nenn mich einfach Mort.“


„Einfach nur Mort“ murrte Peter in Gedanken. „Habe ich Dich an meinen Tisch gebeten? Habe ich Dir das Du angeboten?“ Er starrte den Fremden finster an, doch der war immun gegen seine Blicke und grinste weiterhin freundlich vor sich hin.
Die junge Bedienung kam an ihren Tisch um die Bestellung aufzunehmen. „Einen Espresso, klein, schwarz, am besten einen, der Tote erwecken kann. Bekomme ich hier so etwas?“ fragte er das Mädchen.
Sie lächelte ihn an: „Ganz so stark sicher nicht aber Sie werden mit unserem Espresso zufrieden sein, es ist eine besondere Mischung. Immerhin sollen sich im Elysium alle wie im Paradies fühlen“, entgegnete sie. Peter seufzte.  Natürlich stand die Frau auf genau DEN Typ Mann. Drei Tage Bart, schwarzes T-Shirt, schwarze Jeans, einen Gürtel mit einer Totenkopfschnalle. Wer trug den heutzutage noch so etwas? Das war vielleicht in den Siebzigern modern aber heute doch nicht mehr. Und dazu noch  Cowboystiefel! Das war doch wirklich ein modischer Fauxpas.
„Mir auch noch einen Kaffee“, grummelte er die Bedienung an.
 „Bitte“, sagte sein Gegenüber.
„Was, bitte?“, fragte Peter.
 „Bringen Sie mir bitte noch einen Kaffee, müsste der Satz lauten“,  sagte Mort. „So viel Höflichkeit muss sein, auch wenn man Trübsal bläst und sich in Selbstmitleid verliert. Immer höflich bleiben“, hielt Mort ihm vor. Peter verdrehte genervt die Augen und versank wieder in seinen morbiden Gedanken. Zumindest versuchte er es, doch der Blick des Fremden bohrte sich regelrecht in sein Hirn. Finster schaute er auf und als hätte Mort endlich gemerkt, dass er störte, nahm er eine Zeitung vom Nebentisch auf, die jemand dort liegen gelassen hatte und blätterte sie durch. „Kundschaft“, murmelte er, als er die Seiten mit den Todesanzeigen aufschlug. Peter war nicht klar auf was sich diese Bemerkung bezog. Es war ihm auch egal, er wollte einfach nur seine Ruhe haben und endlich überlegen, wie er sich am besten und einfachsten das Leben nehmen konnte. Und schmerzfrei natürlich.
Er ging noch einmal die Liste seiner favorisierten Methoden durch, als Mort ihn erneut ansprach.
„Wasser würde ich definitiv ausschließen“, sagte er in Peters Gedankengang hinein. Peter runzelte irritiert die Brauen. „Was?“ , grummelte er erneut, da er absolut keine Ahnung hatte, wovon dieser aufdringliche Kerl sprach. Ihn konnte er doch nicht meinen, immerhin hatte er nur über das „sich Ertränken“ nachgedacht und nicht laut gesprochen. „Was?“, fragte er erneut, in der Meinung, irgendetwas verpasst zu haben.
„Wasser würde ich ausschließen, ertrinken ist ein furchtbarer Tod, auch wenn alle behaupten, er wäre schmerzfrei und angenehm“, erzählte Mort.
Peter war sichtlich irritiert. „Woher weißt Du an was ich gerade denke und wieso meinst Du zu wissen, dass ertrinken nicht angenehm ist?“, fragte er etwas aggressiv sein Gegenüber. Dieser antwortete lächelnd: “Ich bin sozusagen ein Experte in Sachen Tod. Glaub mir, wenn ich sage, ertrinken ist keine angenehme Methode aus dem Leben zu scheiden, behauptete Mort grinsend.
„Experte?“, stammelte Peter, der etwas aus dem Gleichgewicht gebracht war. „Wie kann man ein Experte in Sachen Selbstmord oder Tod sein?“, verlangte er zu wissen. „Das ist doch Quatsch mit Soße, dann müsstest Du ja einige Suizidversuche hinter Dir haben, alle misslungen. Dann wärst Du unfähig und dumm. Und auch wenn Du mir auf die Nerven gehst, wirkst Du auf mich nicht so als würdest Du nichts hinbekommen. In seiner Rage merkte er nicht einmal, dass er seinen Gesprächspartner mittlerweile duzte.
„Nein, selber ausprobiert habe ich das tatsächlich noch nicht, das wäre eher kontraproduktiv“, antwortete Mort  immer noch lächelnd. Ihn schien nichts aus der Ruhe zu bringen. Aber ich habe schon oft das Ergebnis so eines Versuches gesehen und glaub mir, Du willst sicher nicht ertrinken“, insistierte er.
Das ewige Lächeln und das Gerede verstörten Peter mehr und mehr. Der Typ wollte eine Diskussion? Ok, konnte  er haben, immerhin spielte er schon lange mit dem Gedanken sich umzubringen und galt somit auch als eine Art Experte.
„Wenn Du ins Wasser gehst, atmest Du refelxartig Luft ein. Damit wirst Du für einige Zeit mit Sauerstoff versorgt. Du hältst dann zwar instinktiv die Luft an sobald Du unter Wasser bist aber das gelingt dir sicherlich für Maximum 90-120 Sekunden. Wenn überhaupt. Das Kohlenmonoxid in deinem Körper steigt an und du willst automatisch atmen. Wasser gerät in die Bronchien und so weiter und so fort. Der Körper verfällt in krampfhafte Zuckungen, deine Trommelfelle scheinen zu platzen und du bekommst Halluzinationen. Glaub mir, das willst du sicher nicht erleben“,  zählt Mort auf.
Peter war einen Moment sprachlos ob der drastischen Schilderung. Der eindringliche Ton seines Gegenübers wirkte sehr überzeugend. Und auch wenn er den Mann nicht leiden konnte, begann er nun doch, über dessen Worte nachzudenken. Aber Ertrinken war ja nicht die einzige Möglichkeit.
„Und wenn ich von einer hohe Brücke springe?“, fragte er. „Dann sterbe ich doch gleich beim Aufprall und bekomme von den folgenden Ereignissen nichts mehr mit“, versuchte Peter sein Gegenüber aus der Reserve zu locken.
„Das denkst aber nur Du“, schmunzelte Mort.
Wieso schmunzelte der Kerl nur immer? Das nervte! Am liebsten würde Peter ihm das Grinsen aus dem Gesicht hauen. Aber auf eigenartige Weise fasziniert hörte er weiter zu.
„Wenn Du auf das Wasser auftriffst, brichst Du Dir jeden Knochen im Leib und anschließend erfolgt der geschilderte Tod im Wasser. Nur, dass jetzt noch die unerträglichen Schmerzen dazu kommen. Also scheidet der Sprung von der  Brücke für dich auch ebenfalls aus. Was hast du denn noch so in Petto?“, erkundigte sich der seltsame Mann.  
Peter war mittlerweile etwas verunsichert. „Erhängen wäre eine Alternative“, entgegnete er.
„Hmm, erhängen würde ich an deiner Stelle ebenfalls definitiv ausschließen. Das ist übel, sehr übel. Wenn dein Genick nicht gleich bricht, wird der venöse Blutfluss unterbunden, es kommt zu Stauung der Blutzirkulation. Man bekommt das Gefühl zu platzen. Und sollte dich jemand finden, bevor Du tatsächlich Tod bist und er wird dich wiederbeleben, bist du für den Rest deines Lebens gaga,“ zählte Mort auf.
Woher wusste der Kerl das nur alles, fragte sich Peter. Um sich etwas abzulenken, rief er nach der Bedienung, die sofort herbeigeeilt kam. Natürlich, Mort hatte wohl diese Wirkung auf Frauen.
"Was darf es sein?", fragte sie.
Diesmal etwas freundlicher, bestellte Peter: "Für meinen "Freund" hier bitte noch einen kleinen, schwarzen und tödlichen Espresso. Um meine Moral aufzubauen brauche ich einen Kakao mit Sahne. Und am besten noch ein Stück Torte, dazu. Was können sie mir denn empfehlen?", fragte er sie.
Die junge Frau schaute ihn an und legte den Kopf etwas schief, als würde sie überlegen. "Sie hatten das letzte Mal als sie hier waren unsere köstliche Schoko-Bananen Torte. Sie hat ihnen gut geschmeckt, daher würde ich sie  wieder empfehlen,  alles andere wäre in Ihrer heutigen Gemütsverfassung sicherlich eine Enttäuschung," antworte sie etwas frech.
Wow, sie wissen noch, was ich das letzte Mal hier bestellt habe?", wunderte sich Peter.
"Aber sicher, schließlich sind sie hier Stammgast. Üblicherweise einer der Netteren, auch wenn sie heute wohl einen schlechten Tag haben. Aber wer hat den nicht ab und zu?" entgegnete sie. Dabei schaute sie ihn nochmals lange an, nickte und sagte: " definitiv Schoko-Banane“,  bevor sie davon ging. Peter wandte sich wieder Mort zu. Verdammt, der Kerl grinste immer noch. Jawohl, grinste, da nützte kein Thesaurus, für dieses Grinsen gab es kein anderes Wort.
"Wieso grinst du eigentlich unentwegt?", fragte Peter leicht aggressiv. "Erfreut es Dich, dass dir die Kellnerin schöne Augen macht? Wieso fliegen nur alle Weiber immer auf so Typen wie Dich?“, motzte er.
Da lächelte Mort noch breiter, sofern das überhaupt möglich war. "Auf mich? Wenn du dich da mal nicht täuschst", antwortete er. "Die junge Frau scheint ganz eindeutig Gefallen an dir gefunden zu haben."
Peter runzelte irritiert die Brauen. "Sicherlich nicht, sie hat dich doch die ganze Zeit angelächelt", meinte er.
"Das schon. Mich hat sie angelächelt aber dich hat sie angeschaut. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Das Lächeln ist nur berufsbedingt. Das gehört zu ihrem Job dazu und bringt mehr Trinkgeld. Ich wette um deine Seele, dass sie nicht einmal weiß, wie ich aussehe, wenn du jetzt hingehst und sie fragst", forderte er Peter heraus.
Das ließ sich Peter nicht zwei Mal sagen. Bevor er es sich noch genauer überlegen konnte, stand er auf und ging zu der  Bedienung, die vorne am Tresen stand. Sie schaute fragend auf, als Peter näher kam. "Stimmt etwas nicht oder haben sie noch einen Wunsch, Peter?", wollte sie wissen. Dabei schaute sie ihn lächelnd an. Sie hatte ein wirklich schönes Lächeln, bemerkte Peter auf einmal. Wieso war ihm das bisher nie aufgefallen?
"Sie kennen meinen Namen? Woher das denn? ", fragte er sie.
Die junge Frau errötete leicht. "Sie waren früher öfter  in Begleitung hier, man bekommt als Serviererin doch den ein oder anderen Gesprächsfetzen mit, da habe ich ihren Namen aufgeschnappt", erwiderte sie. "In letzter Zeit kommen sie allerdings immer alleine, das tut mir leid", fuhr sie fort und fragte ihn erneut nach seinen Wünschen.
Peter war etwas aus dem Konzept gebracht und es dauerte noch einen Moment, bis er ihr antwortete. " Erinnern sie sich an den Kerl, der bei mir am Tisch sitzt?", fragte er. „Können sie ihn beschreiben?"
Diesmal war es an der Bedienung, die Stirn zu runzeln. "Wenn ich ehrlich sein soll, nicht so richtig. Er hat irgendwie strubblige Haare aber an mehr erinnere ich mich leider nicht, nur an seine Bestellung. Ist das wichtig?", fragte sie und blickt in Richtung des Tisches, wo Mort saß und weiter dümmlich grinste.
"Nein, nein, es ist nicht wichtig. Er ist nicht wichtig", und bevor er zurück zu seinem Platz gingt fragte er noch:" Wie heißen sie denn eigentlich"?
"Vanessa", erwiderte sie und machte sich daran, endlich die Bestellung fertig zu machen.
Peter ging zurück und setzte sich.
"So, meine Seele bekommst du nicht, sie weiß tatsächlich nicht, wie du aussiehst", erzählte er Mort. Dabei merkte er nicht einmal, dass er jetzt ein Grinsen über seine Züge zog.
Der erwiderte nichts darauf und wollte nur wissen: "Sollen wir weiter machen und die beste, bequemste und einfachste Art des Selbstmordes diskutieren? Ich hätte noch einige Arten in Petto, auf die du sicher noch nicht gekommen bist. Ich kann dir für alle Variationen das Für und Wider aufzählen und eine der Möglichkeiten wird dich sicher ansprechen“,versuchte er Peter wieder in die Diskussion zu ziehen.
In diesem Moment kam Vanessa an ihren Tisch und brachte das Gewünschte. Mort stürzte seinen Espresso hinunter und während Peter sich der Torte widmete, verschwand der ungebetene Gast genauso unheimlich, wie er erschienen war.
Peter war es egal, alle Gedanken an Selbstmord waren aus seinen Kopf verbannt und Vanessa nahm dort plötzlich einen Platz ein.
Nachdem er die Torte verzehrt und den Kakao ausgetrunken hatte, zahlte er bei Vanessa, verabschiedete sich freundlich und versprach, am Samstag auf einen Kaffee vorbei zu schauen. Vielleicht würde er sie dann fragen, ob sie mal mit ihm ins Kino gehen würde.
Als er zu seiner Wohnung kam fand er einen Brief von der Firma in seinem Briefkasten, die ihm erst letzte Woche eine Absage geschickt hatten. Als er das Schreiben öffnete entglitten ihm die Gesichtszüge:
Sehr geehrter Herr Sawes,
leider mussten wir Ihrer Bewerbung für den Posten des Softwareentwicklers eine Absage erteilen.
Doch das Gespräch mit ihnen und ihre Qualifikation haben bei uns großen Eindruck hinterlassen. Daher möchten wir Ihnen die Position des Roll Out Managers anbieten.
Sollten Sie Interesse an einem weiteren Gespräch bezüglich der Konditionen haben, wenden Sie sich bitte an Frau Ströller. Die Kontaktdaten finden Sie in diesem Anschreiben.
Wir hoffen, Sie bald in unserem Haus begrüßen zu dürfen.
Peter sprang vor Freude in die Luft. Das wurde ja immer besser.  Die Begegnung mit dem Tod brachte einem das Leben plötzlich viel näher, sinnierte er und konnte kaum noch glauben, dass er seinem Leben ein Ende setzen wollte. Er ging nach oben und wählte die Nummer der Firma.
Der Tod spazierte durch die Straßen der Stadt und schüttelte leicht den Kopf. "Diese Menschen", sinnierte er. So leicht aus der Fassung zu bringen und dann wieder so einfach glücklich zu machen. Diesem Peter würde er sicher lange nicht mehr begegnen, bis dessen Leben ein normales, sterbliches Ende fand. Er mischte sich nicht oft ein aber ab und zu verärgerte er den alten Mann da oben ganz gerne.
Pfeifend zog sich der Tod, auch Mort genannt, in sein Domizil zurück.
Here's a little song I wrote
You might want to sing it note for note
Don't worry, be happy
In every life we have some trouble
But when you worry you make it double
Don't worry, be happy
Don't worry, be happy now

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