29 November 2024

Babel von R.F. Kuang

Klappentext:
1836. Oxford ist das Zentrum allen Wissens und Fortschritts in der Welt. Denn dort befindet sich Babel, das Königliche Institut für Übersetzung, der Turm, von dem die ganze Macht des Britischen Weltreiches ausgeht.
Für Robin Swift, Waisenjunge aus dem chinesischen Kanton und von einem geheimnisvollen Vormund nach England gebracht, scheint Babel das Paradies zu sein. Bis es zu einem Gefängnis wird ...
Aber kann ein Student gegen ein Imperium bestehen?
 
Kommentar:
Das ist der Klappentext zu diesem Buch, der eigentlich nichts aussagt. Denn das Buch ist so unsagbar viel mehr. Nachdem es so gehypt wurde, dachte ich, es sei wieder eines dieser Mädchenbücher mit einem Thema wie enemy to lover oder ähnlichem, Trotzdem hat mich der Titel nicht losgelassen und als es jetzt als Taschenbuch erschien, habe ich es  gekauft und gelesen. Natürlich musste es wieder ein Buch mit Farbschnitt sein, um noch mehr zu verdeutlichen, dass es in das Schema der heutigen Bücher passt.
Aber es passt nicht! Jeder, der eine seichte Geschichte erwartet, wird bei diesem Buch aufgeben. Denn die Autorin wartet mit sehr komplexen Themen auf. Sklaverei, Rassismus, Unterdrückung, Krieg. Und obwohl es in einer fiktiven Welt, einem fiktiven London und Oxford spielt, sind die Ereignisse teilweise durchaus real und nicht wegzuleugnen. Die Kolonialmächte wie England, Frankreich, die Niederlande oder auch wir, haben fremde Länder erobert, die Einwohner versklavt, unterdrückt, verschleppt oder hingerichtet, um unseren Reichtum zu mehren. Nicht den Reichtum der armen Landbevölkerung, sondern den Reichtum derer, die schon reich sind. Die Europäer haben sich für etwas Besseres gehalten und waren der Ansicht, sie bringen den eroberten Völkern Zivilisation, Bildung und Anstand. Dass diese das durchaus besaßen, den Werten aber eine andere Bedeutung zumaßen, wollten sie nicht anerkennen. Das Buch spielt Mitte des 19. Jahrhunderts, und die Arroganz der „Weißen“ kannte damals keine Grenzen.
Als Robin Swift das erste Mal englischen Boden betritt ist er überwältigt. In Kanton aufgewachsen, kannte er nichts von der Welt. Er sieht die Chance, die sich ihm bietet und er setzt alles daran, diese Chance zu nutzen. Auch wenn beim kleinsten Fehler die Strafe auf dem Fuße folgt. Sechs Jahre hält er es im Haus von Professor Lovell aus, bevor er nach Babel kommt. Dem Zentrum des britischen Empires. Hier, wo fast alle Sprachen gesprochen und gelehrt werden, hier, wo es unendlich viele Bücher gibt, die seinen Wissendurst stillen und wo er endlich Freunde findet.
Letty, Victoire, Remy und Robin bilden einen Jahrgang. Sie werden ein Quartett, ein Kleeblatt mit vier Blättern, unzertrennlich und immer füreinander da. Endlich gibt es jemanden, der ihnen zuhört. Sie respektieren und akzeptieren einander ohne Vorbehalte. Für die Schule sind sie nur Mittel zum Zweck, Schüler, mit einer großen Begabung für seltene Sprachen. Und das Empire braucht Wissen und Kenntnisse über neue Sprachen, um seine Grenzen und seinen Reichtum zu erweitern.
Robin erkennt, dass er nicht alleine ist. Victoire mit ihrer kreolischen Herkunft und Ramy als Inder haben die gleichen Probleme wie er. Sie werden gebraucht, um Babel mit neuen Sprachen zu bereichern, ihre Arbeit im Turm wir anerkannt, aber eben nur dort. Frauen werden Mitte des 19. Jahrhunderts wie Eigentum gehalten, Frauen an einer Schule werden nicht akzeptiert. Zu Beginn müssen sich Letty und Victoire sogar als Männer verkleiden. Remy und Robin werden als Kuriosität betrachtet aber nie als gleichrangig. Remy wird in einigen Geschäften nicht bedient, die Mädchen dürfen nichts in der Bibliothek ausleihen, wenn sie nicht von Männern begleitet werden. Überhaupt, unterstellt man ihnen Hysterie und Dummheit, denn intelligente Frauen machen den Männern Angst. Sehr oft kommt es diskriminierenden und rassistischen Äußerungen den dreien gegenüber, nur Letty bleibt davon verschont, sie gilt als reinrassige Britin, eine englische Rose in einer Kloake.
Die tiefe Verbundenheit zwischen diesen vier sehr unterschiedlichen Charakteren prägt die erste Hälfte des Buches, ihre tiefe Verbundenheit, ihr Vertrauen und ihre Liebe zueinander gehen dem Lesenden ans Herz. Doch langsam aber unausweichlich wendet sich die Geschichte, wird bedrückend. Spätestens, als die Delegation in Kanton ankommt, merkt man, dass die Autorin keinen Liebesroman oder ein Jugendbuch schreibt. Die Schilderungen über Intoleranz, Rassismus und Überheblichkeit sind verstörend echt, finden auch heute noch genauso statt, wie damals. Man muss nur genauer hinschauen. Sei es nach Afrika oder in die USA oder manchmal nur bis zum Nachbarn. Obwohl ich viel über die Geschichte der Kolonialmächte in der Schule gelernt habe, war ich teilweise von der Grausamkeit und Ignoranz in diesem Buch erschüttert. Manche Lesenden bezeichnen oder betrachten den Roman als Abrechnung der Autorin mit der Geschichte zwischen England und China, was ich durchaus nachvollziehen kann, aber dieses Buch ist fiktiv, es ist fantasy in einer fiktiven Welt und bei allem politisieren sollte man das nicht vergessen. Die Idee des Silberwirkens ist innovativ heute macht man sich abhängig von Gas oder Erdöl, hier eben von Silber.
Faszinierend fand ich die Ausflüge in die Sprachen und deren Entwicklung und Verquickung. Manchem Lesenden mag das zu wissenschaftlich gewesen sein aber gerade in Verbindung mit dem Silberwirken war es faszinierend und lehrreich. Die Autorin beherrscht ihre Sprache außergewöhnlich gut und verführt uns damit, entführt uns in eine Welt, die erschreckend real wirkt.
Ich könnte noch viel mehr über das Buch schreiben aber dann würde ich zu viel spoilern. R.F. Kuang lässt ihre Protagonisten keinen leichten Weg gehen aber der Weg ist glaubhaft und realistisch und oft nachvollziehbar.
Das Cover zeigt den Turm Babel, im Softcover Format ist das Buch mit Farbschnitt erschienen. Es wirkt damit  sehr harmlos, der Inhalt ist es aber nicht. 
Fazit:
Für mich war dieses Buch eine echte Überraschung. Die Geschichte beinhaltet so viel mehr als man erwartet. Sie ist spannend, lehrreich und regt zum Nachdenken an. Sie hält uns einen Spiegel vor und beweist, dass wir aus der Geschichte nichts gelernt haben. Ein Buch über intensive Freundschaften, über vier Menschen, die ausgegrenzt werden, aber trotzdem nicht aufgeben. 
 
Titel: Babel
Autorin: R.F. Kuang
Verlag: Eichborn, Softcover, 730 Seiten
ISBN: 9783847901846

 

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