Es ist das Jahr 1714, eine Zeit, in der
Frauen noch nichts zu sagen haben. Man spricht ihnen die Bildung ab und erwartet,
dass sie heiraten und Kinder bekommen. Adeline LaRue hat Wünsche und Träume und sie möchte
sich den Beschränkungen ihrer Zeit nicht fügen. Einen Verehrer nach dem anderen
weist sie ab. Als sie 23 Jahre alt ist gilt sie schon fast als alte Jungfer und
ihre Eltern arrangieren eine Ehe für sie mit einem älteren, verwitweten Mann.
Die alte Kräuterfrau Estele erzählt dem
Mädchen von den alten Göttern, die manchmal antworten und manchmal auch nicht.
»Die Götter sind launisch, sie antworten nicht immer.«
»Was macht man dann?«
»Dann macht man weiter.«
Also beschließt Adeline zu den alten
Göttern zu beten um ihrem tristen Dasein zu entkommen. Dabei erinnert sie sich
stets an Esteles Rat: »Und ganz gleich, wie verzweifelt Du bist, bete niemals
zu den Göttern, die nach Einbruch der Nacht antworten.
Doch der Tag ihrer Hochzeit kommt und
niemand hat ihre Gebete erhört. Sie flieht ein letztes Mal in den Wald und
opfert das wertvollste Stück, das sie besitzt. Einen Ring, den ihr Vater
angefertigt hat. Im düsteren Wald vergisst sie die Zeit und als ihr Gebet
endlich erhört wird, ist es ein Gott der Dunkelheit, der antwortet. Er erfüllt
Adeline ihren Wunsch, belegt sie aber gleichzeitig mit einem Fluch. Denn kein
Mensch, dem das Mädchen fortan begegnet, erinnert sie an sie.
Kommentar:
Ich lese ja am liebsten high fantasy
oder epische fantasy. Ab und zu gibt es Bücher abseits dieser Genre, die etwas
Besonderes sind und das Herz berühren. Dieses Buch ist so eines, es ist
wunderschön und gleichzeitig tieftraurig, es verzaubert und lässt uns staunen.
Jeder Mensch, dem Addie nach dem Pakt
begegnet, kann sich später nicht mehr an sie erinnern. Hier gilt sprichwörtlich
»aus dem Auge, aus dem Sinn«. Jedes Jahr erscheint die Gestalt, die Addie
fortan Luc nennt, und fragt sie, ob sie aufgeben möchte, des Lebens überdrüssig
geworden ist. Doch die junge Frau ist eine Kämpferin. Sie lernt zu überleben,
die ersten Jahre sind grausam zu ihr, denn sie weiß nichts von der Welt und wie
es in ihr zugeht.
Im Laufe der Jahre lernt zu lesen, (»Bücher sind, wie sie erfahren hat, eine Möglichkeit tausend
Leben zu führen - oder in einem sehr langen Leben Kraft zu finden.« (Zitat
Seite 31) sich in den besten Kreisen zu bewegen, sie kultiviert sich und
für kurze Momente wird sie anerkannt und geliebt.
Aber sie hinterlässt keine Spuren. Wir
begleiten die junge Frau 300 Jahre durch die Zeit, der Fokus der Geschichte
liegt dabei ausschließlich auf ihr, die Autorin vermeidet es klugerweise, sich
zu verzetteln. Es geht um Addie, wer mehr erwartet, wird enttäuscht sein. Mir
war Addie genug. Mit der Zeit lernt
Addie, im Leben Spuren zu hinterlassen. Sie inspiriert Künstler, die natürlich
nicht mehr wissen, von wem sie ihre Inspiration erhalten haben. Hier eine
Zeile, die den Beginn eines Gedichts einläutet, dort ein paar Takte auf einem
Klavier, die zu einer wunderbaren Komposition werden. Und immer wieder
werden Bilder von ihr gemalt von
berühmten Künstlern, die Addie jedoch nie ganz erfassen können.
Die Einsamkeit, die diese junge Frau
umgibt, erschüttert den Leser. Auch wenn sie Liebschaften eingeht und sich
tagtäglich in den gleichen Kreisen bewegt, die Menschen lieben lernt, muss sie
jeden Tag aufs Neue darum kämpfen ihren Platz zu finden.
Bis zum Jahr 2014. Als sie aus einem
Buchladen ein Buch mitgehen lässt, kommt ihr der Verkäufer hinterher gerannt um
sie zur Rede zu stellen. Letztendlich schenkt er ihr das Buch, das kaum einen
Wert besitzt. Am nächsten Tag bringt Addie das Buch zurück und möchte ein
anderes mitnehmen. Diebstahl ist für sie zur Routine geworden, es erinnert sich
ja eh niemand an sie. Doch an diesem Tag ist alles anders. Henry sagt den
bedeutsamsten Satz ihres Lebens, einen Satz, auf den sie 300 Jahre gewartet
hat: »ich erinnere mich…«
Damit bekommt das Buch eine unglaubliche
Wendung.
Die Geschichten von Addie und Henry
werden im Wechsel erzählt, was die Spannung ungemein erhöht. Trotz ihrer 300
Jahre kann sich Addie immer noch an schönen Dingen erfreuen.
Eine sehr witzige Szene
auf Seite 267: »Ich nehme alles zurück. Wenn ich den Rest meines Lebens nur
noch eine Sache essen könnte, dann wären es Pommes.«
Und etwas weiter:» Das Schlimmste am Essen ist, wenn es vorbei ist.«
In jedem Jahrhundert entdeckt sie Neues
und Aufregendes und auch, wenn sie manchmal am Ende scheint, die Begegnungen
mit Luc fordern ihren Trotz und ihren Lebenswillen heraus und sie gibt nicht
auf.
Ich
habe in verschiedenen Rezensionen gelesen, dass die Leserinnen die Geschichte zu
langatmig und lang gezogen finden. Ich habe jedes Jahrhundert genossen und war
gespannt, wie sich die junge Frau entwickelt und trotz allem ihren Weg findet.
Jede Episode ist meines Erachtens wichtig, damit sie die Frau sein kann, der
Henry 2014 begegnet. Für mich war keine Seite zu lang. Ich habe von der Autorin
auch „die vier Farben der Magie“ gelesen und war damals auch hingerissen von
der Geschichte. Ihr Schreibstil ist
eingängig, poetisch ohne allzu ausschweifend zu werden, die Geschichten ziehen
einen sofort in ihren Bann (oder eben nicht).
Das Cover ist schön, die Farben warm und ansprechend, es sagt aber nicht
viel über die Geschichte aus. Neben dem Uhrmacher in der Filigree Street ist
dieses Buch ein weiteres Lesehighlight 2022.
Titel:
Das unsichtbare Leben der Addie LaRue
Autorin: V. E. Schwab
Verlag; Fischer Tor, Softcover, 524
Seiten
ISBN: 978-3596705818
Hi Petra!
AntwortenLöschenFreut mich sehr dass dich diese Geschichte auch so verzaubern konnte! Ich mochte sie ebenfalls sehr! (Auch wenn mich die Vier Farben der Magie ja nicht so begeistern konnten)
Liebste Grüße, Aleshanee