20 Oktober 2021

Eines Menschen Flügel von Andreas Eschbach

 

Sie wissen, dass ihre Ahnen vor über tausend Jahren ihren Planeten besiedelt haben und sie wissen, dass diese Ahnen ihnen Flügel gegeben haben, da auf dem Boden eine Gefahr droht, die sie nicht bekämpfen können. Ihre Wohnungen sind Nester in den riesigen Bäumen, sie kennen kein anderes Leben. Die Ahnen haben ihnen wertvolle Bücher hinterlassen, Anweisungen und Vorschläge, die ein friedliches Leben in der Gemeinschaft ermöglichen. Das Leben ist ein langsamer, ruhiger Fluss, niemand stellt es in Frage. Bis eines Tages der junge Owen wissen möchte, warum man die Sterne nicht sehen kann. Als ihm niemand eine befriedigende Antwort geben kann, nimmt sich Owen vor, so hoch zu fliegen, wie noch niemals ein Mensch zuvor, den Himmel zu durchstoßen und die Sterne zu sehen.

Als er am Todestag des Nestältesten Hekwen darüber berichtet, dass er es geschafft und die Sterne gesehen hat, ruft das die »Bruderschaft« auf den Plan, eine Geheimgesellschaft, die dafür sorgen soll, dass alles so bleibt wie es ist. Durch Intrigen schaffen sie es, dass Owen wie ein Lügner dasteht, weil er keine Beweise für seinen angeblichen Flug zu den Sternen hat. Als er es erneut versucht, um allen Menschen zu beweisen, dass es möglich ist, stürzt er ab und stirbt. An seinem Grab schwört sein Sohn Oris, den Namen seines Vaters rein zu waschen und die Bruderschaft zu enttarnen. Er ahnt nicht, was für eine Katastrophe er damit auslöst, ein Prozess, den sein Vater in Gang gesetzt hat und der die Grundfesten ihrer Welt erschüttern wird.

Kommentar: 
Wie soll man eine kurze Rezension zu einem Buch schreiben, das über 1200 Seiten umfasst, ohne zu viel zu verraten aber die zukünftigen Leser neugierig auf das Buch zu machen. Andreas Eschbach hat hier eine paradiesische Welt erschaffen, wie es kaum vorstellbar ist.  Die Ahnen fanden und besiedelten diese Welt, weil sie in ihrer eigenen nicht mehr leben konnten und wollten. Sei es aus politischen, wirtschaftlichen oder menschlichen Erwägungen heraus. Das Leben entwickelte sich in eine Richtung, die sich nicht gehen wollten. Wo nur noch Macht und Reichtum zählte und das Leben eines einzelnen nichts wert war. Sie wollten es besser machen und in den »Büchern der Ahnen« hielten sie ihre Erfahrungen fest und gaben ihr Wissen an ihre Nachkommen weiter. Es gab Bücher über Landwirtschaft, Medizin, Handel, für das Bearbeiten bestimmter Materialien wie Holz oder Erz, für die Herstellung von Kleidung und vieles mehr. Auf diese Bücher baut sich das Leben der verschiedenen Nester auf und alles lebt in Einklang miteinander. 
Die Ahnen stellten gewisse Regeln auf, damit die Zahl der Bewohner nicht explodierte. Eine Heirat- hier genannt »Versprechen« durfte nicht innerhalb eines Nestes erfolgen, der Mann wechselte stets in das Nest der Frau und die Anzahl der Kinder wurde begrenzt. Auch hier war es ein gentechnischer Eingriff, der es den Frauen ermöglichte, zu verhüten. Durch ihre Flügel waren sie imstande, auf dem ganzen Kontinent zu reisen, doch sie flogen nie darüber hinaus. Und alles war erlaubt außer die Entwicklung von Maschinen. Was man nicht aus eigener Kraft erreichen konnte, sollte man bleiben lassen. Immer wieder gab es Menschen mit Erfindungsgeist, die die Arbeit innerhalb des Nestes erleichtern wollten doch stets schaffte es die Bruderschaft, diese aufkommende Entwicklung im Keim zu ersticken. 
Oris setzt alles daran, den Ruf seines Vaters wieder herzustellen. Dabei stehen ihm die «aufmerksamen Flieger« zu Seite, eine Gruppe von waghalsigen, jungen Menschen, die das Ganze zunächst als Abenteuer betrachten, bis daraus tödlicher ernst wird. Von der jungen Kalsul aus dem Nest der Sul erfahren sie das erste Mal von der Bruderschaft und den Intrigen gegen Owen. Zunächst werden sie bei ihrer Suche in die Irre geleitet aber dann ersinnt Owen einen Plan, um die Bruderschaft aus ihrem Versteck zu locken. 
Die Welt die der Autor hier beschreibt, ist kaum vorstellbar. Es gibt so gut wie keine Verbrechen, wird ein Nestbewohner straffällig, wird er aus dem Nest verbannt, was jedoch sehr selten vorkommt. Außer in den Eisenlanden gibt es kein Geld, der Handel funktioniert durch Tausch. Alle tragen ihren Teil zur Gemeinschaft bei, helfen bei der Ernte, dem Fischfang, der Jagd oder in der Küche. Jeder ist ein Teil eines großen Ganzen und fügt sich ein. Der Rat der Ältesten befindet über Streitigkeiten, alles wird stets friedlich geregelt. 
Es handelt sich um eine langsame, sehr ruhige Geschichte, die mich aber trotzdem sofort gefangen hat. Ich habe ein paar der negativen Rezensionen gelesen und kann durchaus verstehen, was diese Leser an dem Buch gestört hat, es ist aber gerade das, was mir so gefallen hat. Bei den Namen hatte ich keine Probleme, hat man das System der Stämme und die Namensgebung begriffen, konnte man als Leser schnell zuordnen, zu welchem Stamm ein Charakter gehört. Es gibt eine Vielzahl an Charakteren aber alles dreht sich letztendlich um Owen und seine Freunde. Der Autor wechselt mehrmals die Perspektive. Als unter anderem Meoris und Garis die Gruppe verlassen müssen, werden sie nicht aus der Handlung genommen, sondern Meoris bekommt ein eigenes Kapitel, in dem ihr weiterer Weg geschildert wird. Letztendlich führen alle Wege zusammen und es ist unglaublich, wie der Autor das auf diesen 1200 Seiten schafft. Trotzdem wäre es schön gewesen, am Ende einen Stammbaum zu sehen, welcher Stamm von welchen Ahnen abstammt und eine Übersicht der Bücher der Ahnen. Sicher geht das alles nach und nach aus der Geschichte hervor aber ich mag Glossare. Auf der Karte kann man die Reise der jungen Leute aber gut verfolgen und es wird durch sie auch ersichtlich, warum die Stämme teilweise so unterschiedlich sind.   
Für mich Andreas Eschbach ein Meister der deutschen Sprache und viele Sätze haben mich wirklich berührt.

Seite 1174: »Mit den Versprechen, die wir halten, halten wir die Welt zusammen.«

Seite1074: ..wenn man alles für selbstverständlich nimmt, bringt man das schöne im Leben zum Verschwinden.«

Ich könnte seitenweise solche Sätze zitieren,  die einfach wunderbar ausdrücken, was die Charaktere fühlen und wie sie miteinander agieren. Obwohl auch ich an einigen Stellen durchaus dachte, dass man etwas hätte kürzen können, ist dieses Buch für mich ein erstaunliches und wunderbares Leseerlebnis gewesen. Die Vorstellung, dass wir Menschen Flügel bekommen und mit den Vögeln um die Wette fliegen können, wer träumt nicht davon? Auch wenn es hier aus Notwendigkeit geschieht und durch einen gentechnischen Eingriff, ist es doch eine wunderbare Vorstellung. 

Die ganze Welt zu beschreiben und auf die einzelnen Charaktere einzugehen ist unmöglich. Zusammenfassend kann man sagen, dass Owen etwas anstößt was Auswirkungen auf die gesamte Zukunft der Menschen hat. Wie alles ineinandergreift und ein großes Ganzes ergibt, ist faszinierend. Nichts ist unlogisch, alles baut aufeinander auf, ein Ereignis führt zum nächsten. Oft wechselt der Autor in den spannendsten Momenten die Perspektive, lässt einen anderen Charakter zu Wort kommen aber am Ende findet sich alles logisch zusammen. Mir hat es besonders gefallen, dass auch die als negativ empfundenen Charaktere zu Wort kommen und ihr Handeln dadurch verständlicher wird. 
Nur in einem Punkt stimme ich den Kritikern zu. Auch ich hätte gerne mehr über das Wesen des »Margor« erfahren, ein nicht näher beschriebenes Etwas, das jeden lautlos verschlingt, der den Boden betritt und warum es Flächen gibt, wo diesen Wesen nicht zuschlägt. Das bleibt alles im Unklaren und irritiert etwas. 
 
Fazit: 
Ein unglaublich faszinierendes Buch, eine Geschichte, die mich tief berührt und in ihren Bann gezogen hat. Ich hatte mir das Buch extra für einen Urlaub aufgehoben, denn mir war klar, dass man es besser an einem Stück, ohne längere Pausen liest. Wer Eschbach liebt wird auch dieses Buch lieben und kommt auf über 1200 Seiten voll auf seine Kosten. Einen Lob an Lübbe, wo man sich nicht gescheut hat, die Geschichte in einem Buch zu veröffentlichen, statt sie zu teilen, wie das ja oft üblich ist. 
Wer lieber hopplahopp Geschichten mag, der sollte die Finger davon lassen. 
Ist es Science Fiction, ist es Fantasy, ist es eine Utopie? Findet es selbst heraus.
 
Titel: Eines Menschen Flügel 
Autor: Andreas Eschbach 
Verlag: Bastei Lübbe, Hardcover, 1257 Seiten 
ISBN: 9783785727027

2 Kommentare:

  1. Hi Petra!

    Freut mich wirklich sehr dass es dich auch so begeistern konnte. Ich liebe diese Geschichte!!!!

    Der "Margor" oder was auch immer der Boden ist, bleibt eben ein Mysterium. Nicht alles muss man wissen, sonst verschwindet die "Magie" aus der Welt ;) Ich denke, deshalb hat er das offengelassen. Nicht alles kann man wissenschaftlich erklären...

    Liebste Grüße, Aleshanee

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  2. ich fand es sogar besser als NSA weil mir bei NSA der Abschluss nicht gefallen hat

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