18 September 2021

Mein Lieblingscharakter der Fantasy: CHARA PASIPHAE-OPOULOS


Ich habe diesen Artikel für das Phantastikon verfasst, das es ja leider in seiner Form so nicht mehr gibt. Als ich meine Beiträge zu den Top Ten Thursday vorbereitet habe, waren Lieblinsgfiguren in Büchern ein Thema und so viel mir dieser Artikel wieder ein. Ich stelle euch diese einzigartige Frau heute vor, denn sie hat einen eigenen Beitrag vedient. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Judith, die dies ermöglicht hat und mir ihre wunderbare Zeichnungen zur Verfügung gestellt hat.  

Vor beinahe fünfzig Tausend Jahren tauchten die ersten Menschen in Amalea auf. Seitdem herrscht auf dieser Welt, die aus vier Kontinenten besteht, ein immerwährender Krieg zwischen Chaos und Ordnung. Im Jahre 340 nGF scheint das Chaos besiegt, nur einer weiß, dass den Menschen der letzte Krieg erst noch bevorsteht und dass jeder sich für eine Seite entscheiden muss. 
 
Chara wurde in Chryseia in der Stadt Agyra geboren. So nimmt man an, denn dort wurde sie, ausgesetzt in einer Kiste, gefunden. Tomein, ein Straßenganove, nimmt das Kind bei sich auf und lehrt es den Überlebenskampf auf der Straße. Da Chara ein Mädchen und zudem relativ klein und schmächtig ist, muss sie lernen, schneller und besser zu sein als alle anderen mit denen sie zusammen lebt. Eine Horde aus Dieben, Bettlern und Mördern. Sie lernt während ihrer Kindheit und Jugend keine Liebe, Wärme oder Zuneigung kennen und verhärtet ihr Innerstes gegen solche Gefühle. Gefühle sind Schwäche und machen angreifbar und verletzlich. Obwohl das nicht korrekt ausgedrückt ist, sie kennt solche Emotionen einfach nicht und empfindet sie somit auch nicht. Niemals hat jemand in ihrer Umgebung und in ihrem Leben solche Gefühle gezeigt. Und was man nicht kennt,vermisst man nicht.
Als Chara 15 Jahre alt ist, bringt ihr Ziehvater Tomein sie in die alte Stadt Kresopolis, wo sie in die Obhut des dortigen Bettlerkönigs übergeben wird. Obwohl sie eigentlich schon zu alt ist, um in die Diebesgilde aufgenommen zu werden, bildet der Bettlerkönig das junge Mädchen zur Assassinin aus. Zu dieser Ausbildung gehört auch der Unterricht in höfisches Benehmen, Sitten und Gebräuche sowie eine Studium der Philosophie. Sie selbst stählt ihren Körper immer weiter, teils mit Krafttraining, teils mit Akrobatik. Sie sieht sich und ihren Körper als eine Waffe. Eine Waffe, die sie nutzt um zu töten und zu überleben. 
Diese Jahre bilden den Grundstein für ihre Entwicklung und stählen sie für die Zukunft. Töten ist keine Leidenschaft sondern wird ihre Profession.

Valianisches Imperium
 
Im Alter von 27 Jahren wird Chara in das valianische Imperium geschickt um dort für den Bettlerkönig zu spionieren. Unter einer Tarnidentität macht sie sich dort einen Namen als Leibwächterin. 
Sie trifft zum ersten Mal auf ihre zukünftigen Gefährten und es beginnt für sie ein neuer Lebensabschnitt. Thorn Gandir ist ein Held des valianischen Imperiums, Telos Malakin ein Priester des Kriegsgottes Agrammon und Bargh Barrowson ein Krieger aus dem hohen Norden. 
Zusammen verfolgen sie die Diebe von Valians Zepter, einem Machtsymbol des valianischen Reiches, das den Machtanspruch des Cäsaren belegt. 
Hier muss zum Chara zum ersten Mal in einer Gruppe agieren, was ihr nicht leicht fällt. Sie ist Einsamkeit gewohnt, trifft stets ihre eigenen Entscheidungen, handelt absolut rational und ohne Rücksicht auf die Empfindungen anderer. Ihre Gedanken teilt sie lediglich ihrem kleinen schwarzen Buch mit, niemals ihren Reisebegleitern oder Mitmenschen.

Die Verfolgung führt die Gruppe bis in das ferne Aschran, wo sie von Orks gefangen genommen und eingekerkert werden. Sie sind Gefangene des berühmt berüchtigten Alten vom Berg Al' Jebal. Der Mann ist eine Legende, es geht das Gerücht, dass er seit Jahrhunderten lebt und Fäden im Hintergrund spinnt. Der undurchschaubare Mann bietet Chara an, in seine Dienste zu treten und seiner Assassinentruppe beizutreten. Dachte Chara bisher, ihre Leistungsfähigkeit erreicht zu haben, muss sie feststellen, dass ihr Können und ihre körperliche Fitness bei weitem nicht ausreichen, um mit den Assassinen mitzuhalten. Chara hat nur ein Ziel, die in ihr gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Waren ihre bisherigen Taten und Entscheidungen auf ihr Überleben gerichtet, so möchte sie nun Al' Jebal gerecht werden. Sie verfällt regelrecht seinem Charme und seinem Einfluss. Ihr Verhalten grenzt an Hörigkeit. Sie wendet sich sogar gegen ihre Weggefährten, die ebenfalls, teils freiwillig, teils widerstrebend, in den Dienst des Alten vom Berg getreten sind.

Chara ist am Ziel ihrer Träume angelangt, dem mächtigsten Bund der Mördergilde anzugehören und dem berühmten Magier zu dienen. Endlich hat sie jemanden gefunden, der ihr alle Entscheidungen aus der Hand nimmt und nur eines von ihr verlangt: Gehorsam. Doch Gehorsam ist keine Charaktereigenschaft, die bei Chara vorhält. Obwohl sie allen Befehlen gehorcht und alle Befehle ausführt, denkst sie doch insgeheim darüber nach. Sie wird zusammen mit ihren alten Gefährten mehrmals auf eine Mission innerhalb des Reiches geschickt um ihre Fähigkeiten und ihren Gehorsam zu beweisen. Sie kennen die Hintergründe dieser Missionen nicht und wissen nicht, dass sie als Vorbereitungen für den großen Krieg zwischen Chaos und Ordnung dienen. Chara beweist hier, dass sie alle Aufträge ungefragt ausführt und keinen Unterschied zwischen Freund und Feind  macht, um die gesetzten Ziele zu erreichen. 
Lediglich ihrem kleinen schwarzen Buch, dass sie stets mit sich führt, lässt sie ihren Gedanken, Überlegungen und Gefühlen freien Lauf. Hier erfahren wir mehr über diese ambivalente Frau und dass sie keineswegs nur die emotionslose Assassinin ist, wie sie nach außen scheint.

Veränderungen 

Sich in die Dienste Al' Jebals zu stellen ist für Chara eine Flucht und eine Überlebenstaktik. Es ist kaum vorstellbar, dass sie ihr Leben alleine gemeistert hätte, ohne jemanden, der ihr ein Ziel gibt und Gehorsam verlangt. Doch jetzt, wo sie am Ziel angekommen ist, ein Zuhause gefunden und den Respekt ihrer Kameraden gewonnen hat, bröckelt ihre innere Mauer. Menschlich sein macht ihr Angst, doch das würde sie niemals zugeben. Ihr Tagebuch zeigt uns, dass Charas Denken wesentlich strukturierter ist, als ihr Auftreten innerhalb der Gruppe vermuten lässt. jeder muss lernen, hinter diese Fassade zu schauen und nur sehr wenigen gelingt es. Der Unterschied zwischen der handelnden Chara und der Chara, die ihre Gedanken ihrem Tagebuch anvertraut, ist gewaltig. Während ihrer Aufträge verbietet sie sich jegliche Gedanken und Gefühle. Dann ist sie stur, still und emotionslos. Doch wenn sie schreibt lässt sie sich treiben und ihre tiefsten Gedanken, Zweifel und Fragen perlen an die Oberfläche. Nie zeigt sie ihren Kampfgefährten ihr wahres Gesicht, doch wie dürfen miterleben wie sich die junge Frau entwickelt und geistig reift. Ihren Mitmenschen zeigt sie eine Maske der Unnahbarkeit, nie gibt sie sich eine Blöße. Doch Al' Jebals weiß, dass er eine schwarze Rose mit vielen Dornen für seinen Plan gewonnen hat.

Mit der Zeit erkennt Chara hinter Al' Jebals Handlungen und Aufträgen den großen Plan. Der charismatische und furchteinflößende Anführer schickt seine Figuren in Stellung, Chara ist seine Königin in diesem Spiel. Scheinbar ohne Macht und doch machtvoll. Al'Jebal ist zeitlos, er lebt und plant aus der Vergangenheit heraus bis weit in die Zukunft hinein. Doch welche Rolle spielt Chara in diesem Plan? Warum hat er sie in seine Dienste genommen? Angst, Unsicherheit aber auch ihr unbekannte Gefühle verunsichern sie. Sie wird menschlicher, bleibt aber weiterhin eine Einzelgängerin und trifft ihre Entscheidungen weiterhin ohne Rücksichten. Obwohl sie während der diversen Missionen gefangen genommen und gefoltert wird, unbeschreibliches Grauen erlebt, ist es dieses Stoische, dass sie davor bewahrt zusammenzubrechen, den Halt zu verlieren und sich dem Chaos hinzugeben.

Das Öffnen ihres Wesens stellt für Chara eine fast so große Gefahr dar wie die Gewalt, die sie erlebt. 

Als die Magierin Lucretia L'Incarto zu den Gefährten stößt, bekommt Chara so etwas wie Konkurrenz. Lucretia stellt sich ebenfalls auf die Seite Al'Jebals. Ihr sonniges Gemüt, ihr höfisches Auftreten und ihre durch und durch weibliche Art treiben Chara oft in den Wahnsinn. Lucretia ist das genaue Gegenteil der Assassinin. Aber es wird uns auch bewusst gemacht, dass Chara eine Frau und nicht nur eine perfekt funktionierende Kämpferin ist. Durch Lucretia wird sie sich ihrer Weiblichkeit bewusst. Aus den sehr unterschiedlichen Frauen werden nie Freundinnen aber sie respektieren einander und Chara begreift immerhin, dass Lucretias diplomatische Art durchaus auch zum Ziel führen kann.

Das hält die Assassinin aber nicht davon ab, weiterhin mit dem Kopf durch die Wand zu gehen und weiterhin alle Ratschläge in den Wind zu schlagen. Um ihre Ziele zu erreichen, paktiert sie notfalls auch mit den Anhängern des Chaos, sehr zum Missfallen ihrer Gefährten. Aber gerade das macht sie so erstaunlich. Während alle nur schwarz oder weiß sehen, erkennt sie die Grauschattierungen. Was ist Chaos und was ist Ordnung? Wer bestimmt, was gut und was böse ist.

Chara fasst diese Gedanken in Worte und fragt Telos danach, der ihr eine Antwort schuldig bleiben muss. In ihm wächst Zorn über diese Frage und er empfindet sie als blasphemisch. Aber zeigen dieser Zorn und seine Sprachlosigkeit nicht seine Angst? Berühren diese Fragen nicht einen wunden Punkt? Denn die Taten, die im Namen der Ordnung begangen werden, sind in den Augen der Leser grausam und brutal und nicht unbedingt notwendig oder gerechtfertigt. Wenn ein Feind seine Waffe fort wirft und sich ergibt und trotzdem niedergemetzelt wird, wie kann das der Ordnung dienen? Worin liegt der Sinn Frauen, Kinder und alte Menschen zu meucheln? Um das Chaos an der Wurzel zu packen? Wissen diese Menschen überhaupt, dass sie Chaosanhänger sind? Sie wohnen vielleicht einfach nur im falschen Teil der Welt, wo sich die Mächtigen dem Chaos verschrieben haben, dessen Bewohner aber lediglich Alltagssorgen plagen und die nichts von dem Krieg ihrer Herrscher wissen. Begibt man sich nicht selbst auf einem dunklen Pfad, wenn man keine Achtung mehr vor dem Leben zeigt, seine Ideale aufgibt und nur noch blind den Befehlen gehorcht? Und ausgerechnet Chara fasst diese Zweifel in Worte. Sie, die Entscheidungen lieber anderen überlässt. Sie, die eigentlich nur gehorchen und kämpfen will. Sollte es nicht Telos sein, der diese Zweifel anbringt? 

Es beweist wieder, dass sich in Chara eine Tiefe verbirgt, die stets unerwartet aufblitzt, so dass niemand sie wirklich einschätzen kann. Man ahnt, dass in der Assassinin weit mehr steckt, als sie der Welt zu zeigen bereit ist. 

Wir erleben mit, wie sie von blindem Gehorsam zur Befehlsverweigerung wechselt und eine, für viele unerwartet starke Entwicklung durchmacht.
 
Lesen sie auch das Interview, in dem sich Chara so offen wie nie gibt.

 

 

1 Kommentar:

  1. Sehr spannend (und wundervoll geschrieben), dieser Beitrag - musste ich doch glatt nachts um 2:30 bis zu Ende lesen.

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