Ich habe diesen Artikel für das Phantastikon verfasst, das es ja leider in seiner Form so nicht mehr gibt. Als ich meine Beiträge zu den Top Ten Thursday vorbereitet habe, waren Lieblinsgfiguren in Büchern ein Thema und so viel mir dieser Artikel wieder ein. Ich stelle euch diese einzigartige Frau heute vor, denn sie hat einen eigenen Beitrag vedient. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Judith, die dies ermöglicht hat und mir ihre wunderbare Zeichnungen zur Verfügung gestellt hat. Vor beinahe fünfzig Tausend Jahren
tauchten die ersten Menschen in Amalea auf. Seitdem herrscht auf dieser Welt,
die aus vier Kontinenten besteht, ein immerwährender Krieg zwischen Chaos und
Ordnung. Im Jahre 340 nGF scheint das Chaos besiegt, nur einer weiß, dass den
Menschen der letzte Krieg erst noch bevorsteht und dass jeder sich für eine
Seite entscheiden muss.
Chara wurde in Chryseia in der Stadt Agyra
geboren. So nimmt man an, denn dort wurde sie, ausgesetzt in einer Kiste,
gefunden. Tomein, ein Straßenganove, nimmt das Kind bei sich auf und lehrt es
den Überlebenskampf auf der Straße. Da Chara ein Mädchen und zudem relativ
klein und schmächtig ist, muss sie lernen, schneller und besser zu sein als
alle anderen mit denen sie zusammen lebt. Eine Horde aus Dieben, Bettlern und
Mördern. Sie lernt während ihrer Kindheit und Jugend keine Liebe, Wärme oder
Zuneigung kennen und verhärtet ihr Innerstes gegen solche Gefühle. Gefühle sind
Schwäche und machen angreifbar und verletzlich. Obwohl das nicht korrekt
ausgedrückt ist, sie kennt solche Emotionen einfach nicht und empfindet sie
somit auch nicht. Niemals hat jemand in ihrer Umgebung und in ihrem Leben
solche Gefühle gezeigt. Und was man nicht kennt,vermisst man nicht.
Als Chara 15 Jahre alt ist, bringt ihr
Ziehvater Tomein sie in die alte Stadt Kresopolis, wo sie in die Obhut des
dortigen Bettlerkönigs übergeben wird. Obwohl sie eigentlich schon zu alt ist,
um in die Diebesgilde aufgenommen zu werden, bildet der Bettlerkönig das junge
Mädchen zur Assassinin aus. Zu dieser Ausbildung gehört auch der Unterricht in
höfisches Benehmen, Sitten und Gebräuche sowie eine Studium der Philosophie. Sie
selbst stählt ihren Körper immer weiter, teils mit Krafttraining, teils mit
Akrobatik. Sie sieht sich und ihren Körper als eine Waffe. Eine Waffe, die sie
nutzt um zu töten und zu überleben.
Diese Jahre bilden den Grundstein für
ihre Entwicklung und stählen sie für die Zukunft. Töten ist keine Leidenschaft
sondern wird ihre Profession.
Im Alter von 27 Jahren wird
Chara in das valianische Imperium geschickt um dort für den Bettlerkönig zu
spionieren. Unter einer Tarnidentität macht sie sich dort einen Namen als
Leibwächterin.
Sie trifft zum ersten Mal auf ihre
zukünftigen Gefährten und es beginnt für sie ein neuer Lebensabschnitt. Thorn Gandir ist ein Held des valianischen Imperiums, Telos Malakin ein Priester
des Kriegsgottes Agrammon und Bargh Barrowson ein Krieger aus dem hohen
Norden. Zusammen verfolgen sie die Diebe von
Valians Zepter, einem Machtsymbol des valianischen Reiches, das den
Machtanspruch des Cäsaren belegt.
Hier muss zum Chara zum ersten Mal in
einer Gruppe agieren, was ihr nicht leicht fällt. Sie ist Einsamkeit gewohnt,
trifft stets ihre eigenen Entscheidungen, handelt absolut rational und ohne
Rücksicht auf die Empfindungen anderer. Ihre Gedanken teilt sie lediglich ihrem
kleinen schwarzen Buch mit, niemals ihren Reisebegleitern oder Mitmenschen.
Die Verfolgung führt die Gruppe bis in
das ferne Aschran, wo sie von Orks gefangen genommen und eingekerkert
werden. Sie sind Gefangene des berühmt
berüchtigten Alten vom Berg Al' Jebal. Der Mann ist eine Legende, es geht das
Gerücht, dass er seit Jahrhunderten lebt und Fäden im Hintergrund spinnt. Der
undurchschaubare Mann bietet Chara an, in seine Dienste zu treten und seiner
Assassinentruppe beizutreten. Dachte Chara bisher, ihre Leistungsfähigkeit
erreicht zu haben, muss sie feststellen, dass ihr Können und ihre körperliche
Fitness bei weitem nicht ausreichen, um mit den Assassinen mitzuhalten. Chara
hat nur ein Ziel, die in ihr gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Waren ihre
bisherigen Taten und Entscheidungen auf ihr Überleben gerichtet, so möchte sie
nun Al' Jebal gerecht werden. Sie verfällt regelrecht seinem Charme und seinem Einfluss.
Ihr Verhalten grenzt an Hörigkeit. Sie wendet sich sogar gegen ihre
Weggefährten, die ebenfalls, teils freiwillig, teils widerstrebend, in den
Dienst des Alten vom Berg getreten sind.
Chara ist am Ziel
ihrer Träume angelangt, dem mächtigsten Bund der Mördergilde anzugehören und
dem berühmten Magier zu dienen. Endlich hat sie jemanden gefunden, der ihr alle
Entscheidungen aus der Hand nimmt und nur eines von ihr verlangt: Gehorsam. Doch
Gehorsam ist keine Charaktereigenschaft, die bei Chara vorhält. Obwohl sie
allen Befehlen gehorcht und alle Befehle ausführt, denkst sie doch insgeheim
darüber nach. Sie wird zusammen mit ihren alten Gefährten mehrmals auf eine
Mission innerhalb des Reiches geschickt um ihre Fähigkeiten und ihren Gehorsam
zu beweisen. Sie kennen die Hintergründe dieser Missionen nicht und wissen
nicht, dass sie als Vorbereitungen für den großen Krieg zwischen Chaos und
Ordnung dienen. Chara beweist hier, dass sie alle Aufträge ungefragt ausführt
und keinen Unterschied zwischen Freund und Feind macht, um die gesetzten Ziele zu erreichen.
Lediglich ihrem kleinen schwarzen
Buch, dass sie stets mit sich führt, lässt sie ihren Gedanken, Überlegungen und
Gefühlen freien Lauf. Hier erfahren wir mehr über diese ambivalente Frau und
dass sie keineswegs nur die emotionslose Assassinin ist, wie sie nach außen
scheint.
Veränderungen Sich in die Dienste Al' Jebals zu stellen
ist für Chara eine Flucht und eine Überlebenstaktik. Es ist kaum vorstellbar,
dass sie ihr Leben alleine gemeistert hätte, ohne jemanden, der ihr ein Ziel
gibt und Gehorsam verlangt. Doch jetzt, wo sie am Ziel angekommen ist, ein
Zuhause gefunden und den Respekt ihrer Kameraden gewonnen hat, bröckelt ihre
innere Mauer. Menschlich sein macht ihr Angst, doch das würde sie niemals
zugeben. Ihr Tagebuch zeigt uns, dass Charas Denken wesentlich strukturierter
ist, als ihr Auftreten innerhalb der Gruppe vermuten lässt. jeder muss lernen,
hinter diese Fassade zu schauen und nur sehr wenigen gelingt es. Der
Unterschied zwischen der handelnden Chara und der Chara, die ihre Gedanken
ihrem Tagebuch anvertraut, ist gewaltig. Während ihrer Aufträge verbietet sie sich
jegliche Gedanken und Gefühle. Dann ist sie stur, still und emotionslos. Doch
wenn sie schreibt lässt sie sich treiben und ihre tiefsten Gedanken, Zweifel
und Fragen perlen an die Oberfläche. Nie zeigt sie ihren Kampfgefährten ihr
wahres Gesicht, doch wie dürfen miterleben wie sich die junge Frau entwickelt
und geistig reift. Ihren Mitmenschen zeigt sie eine Maske der Unnahbarkeit, nie
gibt sie sich eine Blöße. Doch Al' Jebals weiß, dass er eine schwarze Rose mit
vielen Dornen für seinen Plan gewonnen hat.
Mit der Zeit erkennt Chara hinter Al'
Jebals Handlungen und Aufträgen den großen Plan. Der charismatische und
furchteinflößende Anführer schickt seine Figuren in Stellung, Chara ist seine
Königin in diesem Spiel. Scheinbar ohne Macht und doch machtvoll. Al'Jebal ist
zeitlos, er lebt und plant aus der Vergangenheit heraus bis weit in die Zukunft
hinein. Doch welche Rolle spielt Chara in diesem Plan? Warum hat er sie in
seine Dienste genommen? Angst, Unsicherheit aber auch ihr unbekannte Gefühle
verunsichern sie. Sie wird menschlicher, bleibt aber weiterhin eine
Einzelgängerin und trifft ihre Entscheidungen weiterhin ohne Rücksichten.
Obwohl sie während der diversen Missionen gefangen genommen und gefoltert wird,
unbeschreibliches Grauen erlebt, ist es dieses Stoische, dass sie davor bewahrt
zusammenzubrechen, den Halt zu verlieren und sich dem Chaos hinzugeben.
Das Öffnen ihres Wesens stellt für
Chara eine fast so große Gefahr dar wie die Gewalt, die sie erlebt.
Als die Magierin Lucretia L'Incarto zu
den Gefährten stößt, bekommt Chara so etwas wie Konkurrenz. Lucretia stellt
sich ebenfalls auf die Seite Al'Jebals. Ihr sonniges Gemüt, ihr höfisches
Auftreten und ihre durch und durch weibliche Art treiben Chara oft in den
Wahnsinn. Lucretia ist das genaue Gegenteil der Assassinin. Aber es wird uns
auch bewusst gemacht, dass Chara eine Frau und nicht nur eine perfekt
funktionierende Kämpferin ist. Durch Lucretia wird sie sich ihrer Weiblichkeit
bewusst. Aus den sehr unterschiedlichen Frauen werden nie Freundinnen aber sie
respektieren einander und Chara begreift immerhin, dass Lucretias diplomatische
Art durchaus auch zum Ziel führen kann.
Das hält die Assassinin aber nicht
davon ab, weiterhin mit dem Kopf durch die Wand zu gehen und weiterhin alle
Ratschläge in den Wind zu schlagen. Um ihre Ziele zu erreichen, paktiert sie
notfalls auch mit den Anhängern des Chaos, sehr zum Missfallen ihrer Gefährten.
Aber gerade das macht sie so erstaunlich. Während alle nur schwarz oder weiß
sehen, erkennt sie die Grauschattierungen. Was ist Chaos und was ist Ordnung?
Wer bestimmt, was gut und was böse ist.
Chara fasst diese Gedanken in Worte
und fragt Telos danach, der ihr eine Antwort schuldig bleiben muss. In ihm
wächst Zorn über diese Frage und er empfindet sie als blasphemisch. Aber zeigen
dieser Zorn und seine Sprachlosigkeit nicht seine Angst? Berühren diese Fragen
nicht einen wunden Punkt? Denn die Taten, die im Namen der Ordnung begangen
werden, sind in den Augen der Leser grausam und brutal und nicht unbedingt
notwendig oder gerechtfertigt. Wenn ein Feind seine Waffe fort wirft und sich
ergibt und trotzdem niedergemetzelt wird, wie kann das der Ordnung dienen?
Worin liegt der Sinn Frauen, Kinder und alte Menschen zu meucheln? Um das Chaos
an der Wurzel zu packen? Wissen diese Menschen überhaupt, dass sie
Chaosanhänger sind? Sie wohnen vielleicht einfach nur im falschen Teil der
Welt, wo sich die Mächtigen dem Chaos verschrieben haben, dessen Bewohner aber
lediglich Alltagssorgen plagen und die nichts von dem Krieg ihrer Herrscher
wissen. Begibt man sich nicht selbst auf einem dunklen Pfad, wenn man keine Achtung
mehr vor dem Leben zeigt, seine Ideale aufgibt und nur noch blind den Befehlen
gehorcht? Und ausgerechnet Chara fasst diese Zweifel in Worte. Sie, die
Entscheidungen lieber anderen überlässt. Sie, die eigentlich nur gehorchen und
kämpfen will. Sollte es nicht Telos sein, der diese Zweifel anbringt?
Es beweist wieder, dass sich in
Chara eine Tiefe verbirgt, die stets unerwartet aufblitzt, so dass niemand sie
wirklich einschätzen kann. Man ahnt, dass in der Assassinin weit mehr steckt,
als sie der Welt zu zeigen bereit ist.
Wir erleben mit, wie sie von blindem
Gehorsam zur Befehlsverweigerung wechselt und eine, für viele unerwartet starke
Entwicklung durchmacht.
Lesen sie auch das Interview, in dem sich Chara so offen wie nie gibt.
Sehr spannend (und wundervoll geschrieben), dieser Beitrag - musste ich doch glatt nachts um 2:30 bis zu Ende lesen.
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