1836. Oxford ist das Zentrum
allen Wissens und Fortschritts in der Welt. Denn dort befindet sich Babel, das
Königliche Institut für Übersetzung, der Turm, von dem die ganze Macht des
Britischen Weltreiches ausgeht.
Für Robin Swift, Waisenjunge aus dem chinesischen Kanton und von einem
geheimnisvollen Vormund nach England gebracht, scheint Babel das Paradies zu
sein. Bis es zu einem Gefängnis wird ...
Aber kann ein Student gegen ein Imperium bestehen?
Kommentar:
Das ist der Klappentext zu
diesem Buch, der eigentlich nichts aussagt. Denn das Buch ist so unsagbar viel
mehr. Nachdem es so gehypt wurde, dachte ich, es sei wieder eines dieser
Mädchenbücher mit einem Thema wie enemy to lover oder ähnlichem, Trotzdem hat
mich der Titel nicht losgelassen und als es jetzt als Taschenbuch erschien,
habe ich es gekauft und gelesen.
Natürlich musste es wieder ein Buch mit Farbschnitt sein, um noch mehr zu verdeutlichen,
dass es in das Schema der heutigen Bücher passt.
Aber es passt nicht! Jeder, der
eine seichte Geschichte erwartet, wird bei diesem Buch aufgeben. Denn die
Autorin wartet mit sehr komplexen Themen auf. Sklaverei, Rassismus, Unterdrückung,
Krieg. Und obwohl es in einer fiktiven Welt, einem fiktiven London und Oxford
spielt, sind die Ereignisse teilweise durchaus real und nicht wegzuleugnen. Die
Kolonialmächte wie England, Frankreich, die Niederlande oder auch wir, haben
fremde Länder erobert, die Einwohner versklavt, unterdrückt, verschleppt oder
hingerichtet, um unseren Reichtum zu mehren. Nicht den Reichtum der armen Landbevölkerung,
sondern den Reichtum derer, die schon reich sind. Die Europäer haben sich für
etwas Besseres gehalten und waren der Ansicht, sie bringen den eroberten
Völkern Zivilisation, Bildung und Anstand. Dass diese das durchaus besaßen, den
Werten aber eine andere Bedeutung zumaßen, wollten sie nicht anerkennen. Das
Buch spielt Mitte des 19. Jahrhunderts, und die Arroganz der „Weißen“ kannte damals
keine Grenzen.
Als Robin Swift das erste Mal englischen
Boden betritt ist er überwältigt. In Kanton aufgewachsen, kannte er nichts von
der Welt. Er sieht die Chance, die sich ihm bietet und er setzt alles daran,
diese Chance zu nutzen. Auch wenn beim kleinsten Fehler die Strafe auf dem Fuße
folgt. Sechs Jahre hält er es im Haus von Professor Lovell aus, bevor er nach
Babel kommt. Dem Zentrum des britischen Empires. Hier, wo fast alle Sprachen
gesprochen und gelehrt werden, hier, wo es unendlich viele Bücher gibt, die
seinen Wissendurst stillen und wo er endlich Freunde findet.
Letty, Victoire, Remy und
Robin bilden einen Jahrgang. Sie werden ein Quartett, ein Kleeblatt mit vier
Blättern, unzertrennlich und immer füreinander da. Endlich gibt es jemanden,
der ihnen zuhört. Sie respektieren und akzeptieren einander ohne Vorbehalte. Für
die Schule sind sie nur Mittel zum Zweck, Schüler, mit einer großen Begabung
für seltene Sprachen. Und das Empire braucht Wissen und Kenntnisse über neue
Sprachen, um seine Grenzen und seinen Reichtum zu erweitern.
Robin erkennt, dass er nicht
alleine ist. Victoire mit ihrer kreolischen Herkunft und Ramy als Inder haben
die gleichen Probleme wie er. Sie werden gebraucht, um Babel mit neuen Sprachen
zu bereichern, ihre Arbeit im Turm wir anerkannt, aber eben nur dort. Frauen
werden Mitte des 19. Jahrhunderts wie Eigentum gehalten, Frauen an einer Schule
werden nicht akzeptiert. Zu Beginn müssen sich Letty und Victoire sogar als
Männer verkleiden. Remy und Robin werden als Kuriosität betrachtet aber nie
als gleichrangig. Remy wird in einigen Geschäften nicht bedient, die Mädchen
dürfen nichts in der Bibliothek ausleihen, wenn sie nicht von Männern begleitet
werden. Überhaupt, unterstellt man ihnen Hysterie und Dummheit, denn
intelligente Frauen machen den Männern Angst. Sehr oft kommt es
diskriminierenden und rassistischen Äußerungen den dreien gegenüber, nur Letty
bleibt davon verschont, sie gilt als reinrassige Britin, eine englische Rose in
einer Kloake.
Die tiefe Verbundenheit zwischen
diesen vier sehr unterschiedlichen Charakteren prägt die erste Hälfte des
Buches, ihre tiefe Verbundenheit, ihr Vertrauen und ihre Liebe zueinander gehen
dem Lesenden ans Herz. Doch langsam aber unausweichlich wendet sich die
Geschichte, wird bedrückend. Spätestens, als die Delegation in Kanton ankommt,
merkt man, dass die Autorin keinen Liebesroman oder ein Jugendbuch schreibt. Die
Schilderungen über Intoleranz, Rassismus und Überheblichkeit sind verstörend
echt, finden auch heute noch genauso statt, wie damals. Man muss nur genauer
hinschauen. Sei es nach Afrika oder in die USA oder manchmal nur bis zum
Nachbarn. Obwohl ich viel über die Geschichte der Kolonialmächte in der Schule
gelernt habe, war ich teilweise von der Grausamkeit und Ignoranz in diesem Buch
erschüttert. Manche Lesenden bezeichnen oder betrachten den Roman als
Abrechnung der Autorin mit der Geschichte zwischen England und China, was ich
durchaus nachvollziehen kann, aber dieses Buch ist fiktiv, es ist fantasy in
einer fiktiven Welt und bei allem politisieren sollte man das nicht vergessen.
Die Idee des Silberwirkens ist innovativ heute macht man sich abhängig von Gas
oder Erdöl, hier eben von Silber.
Faszinierend fand ich die
Ausflüge in die Sprachen und deren Entwicklung und Verquickung. Manchem Lesenden
mag das zu wissenschaftlich gewesen sein aber gerade in Verbindung mit dem
Silberwirken war es faszinierend und lehrreich. Die Autorin beherrscht ihre
Sprache außergewöhnlich gut und verführt uns damit, entführt uns in eine Welt,
die erschreckend real wirkt.
Ich könnte noch viel mehr über
das Buch schreiben aber dann würde ich zu viel spoilern. R.F. Kuang lässt ihre
Protagonisten keinen leichten Weg gehen aber der Weg ist glaubhaft und
realistisch und oft nachvollziehbar.
Das Cover zeigt den Turm
Babel, im Softcover Format ist das Buch mit Farbschnitt erschienen. Es wirkt
damit sehr harmlos, der Inhalt ist es
aber nicht.
Fazit:
Für mich war dieses Buch eine
echte Überraschung. Die Geschichte beinhaltet so viel mehr als man erwartet.
Sie ist spannend, lehrreich und regt zum Nachdenken an. Sie hält uns einen Spiegel
vor und beweist, dass wir aus der Geschichte nichts gelernt haben. Ein Buch
über intensive Freundschaften, über vier Menschen, die ausgegrenzt werden, aber
trotzdem nicht aufgeben.
Titel: Babel
Autorin: R.F. Kuang
Verlag: Eichborn, Softcover,
730 Seiten
ISBN: 9783847901846
Schönen guten Morgen Petra!
AntwortenLöschenEs freut mich sehr dass dir das Buch gefallen hat! Die Meinungen dazu gingen ja sehr auseinander, aber mich hat es auch total fasziniert!
Liebe Grüße und einen schönen Sonntag!
Aleshanee