Musikalische Fluchten

19 November 2023

Die Magie der Namen von Nicole Godzek

In dem fiktiven Land Mirabortas bekommt man erst zur Volljährigkeit einen Namen. Der Name bestimmt, wer Du sein wirst, welchen Beruf Du ausüben wirst und welchen Platz Du in der Gesellschaft einnehmen wirst. Die Kinder kommen schon im Kleinkinderalter in eine Schule und werden dort nummeriert. Es gibt keine Bindung zu den Eltern, es gibt keine Familie, wie wir sie kennen.
Als der Tag der Namensgebung endlich da ist, hofft Nummer 19 auf einen starken und großen Namen. Als kleinster in der Klasse wird er oft von seinen Mitschülern gehänselt, die Mädchen ignorieren ihn oder lachen ihn aus. Mit einem starken Namen wird sich das alles ändern. Während der Zeremonie muss er miterleben, wie die schlimmsten Schüler die besten und stärksten Namen bekommen, sich verändern und sich auch körperlich ihrem neuen Namen anpassen. Nummer eins wird zu Rustan Polliander, ein Name, der für Mut, Loyalität und Stärke steht. Sein Widersacher Nummer zwei wird zu  Baro Deradas, ebenfalls ein starker Name, der zur Händlergilde gehört.
Als Nummer 19 endlich an der Reihe ist, seinen Namen zu erfahren, ist er zutiefst verstört. Weder kennt man den Namen Tirasan Passario, noch wirkt die Magie der Namensgebung bei ihm. Er bleibt kein und schwächlich und wird weiterhin gehänselt und ausgelacht. So bleibt nur die Hoffnung, dass es im großen Namensarchiv in der Stadt Himmelstor mehr über seinen Namen zu erfahren gibt. Dorthin müssen alle Schüler nach Erhalt ihres Namens reisen, um ihr Erbe in Besitz zu nehmen und ihren Namen im Namensarchiv eintragen zu lassen. 
 
Kommentar:
Das Buch lag schon lange auf meinem SUB, irgendwie hatte ich nie die Lust dazu. Das hat das Buch nicht verdient. Die Geschichte ist spannend und die Idee der Namensmagie hat mich gefesselt. Es gibt ja viele Geschichten um geheime Namen, Namen, die man nicht weitersagen darf oder über Namen, die man nur engsten Freunden mitteilen darf. Das aber eine ganze Welt auf diese Namensmagie aufbaut ist mir neu. Zu Beginn war ich etwas zögerlich. Ich habe es nicht so mit jugendlichen Protagonisten, die zu Helden mutieren. Aber hier ist es tatsächlich anders. Denn mit der Namensmagie verändern sich die Jugendlichen, sie passen sich ihrem Namen an. Rustan wird groß und kräftig, Allira wird zu einer Schönheit  mit einer glockenklaren Stimme, denn ihr Name entstammt einer Reihe von berühmten Sängerinnen. Nur bei Tirasan ändert sich nichts, er spürt auch innerlich keine Veränderung, er bleibt, was er schon immer gewesen ist. Ein Verlierer.
Doch mit der Zeit bemerkt er am Verhalten einiger Mitschüler ihm Gegenüber eine Veränderung. Nelia Wabloo und auch Rustan sind seltsamerweise stets an seiner Seite und als Tirasan unabsichtlich Rustan vor einem Attentäter warnt und ihm somit das Leben rettet, schwört dieser ihm einen Blut- und Treueschwur.
Tirasan ist das alles sehr unangenehm. Er begibt sich heimlich alleine auf den Weg nach Himmelstor, um im dortigen Archiv mehr über seinen Namen zu erfahren. Doch schon bald haben ihn Nelia und Rustan eingeholt und es gesellen sich noch Baro und Allira zu der Runde, so dass sie nun zu fünft sind. Tirasan kann das Tempo der beiden anderen Männer nicht mithalten, sogar die Frauen sind größer und kräftiger als er. So muss er  von Baro weiterhin den Spott ertragen, der ihn schon seit seiner gesamten Schulzeit begleitet hat. Und Obwohl Baro und Rustan in der Schule die dicksten Freunde waren, steht der junge Krieger Tirasan zur Seite, trägt seine Lasten, streckenweise sogar ihn selbst.
Auf dem Weg nach Himmelstor lauern viele Gefahren, doch die fünf Gefährten überstehen die Reise und erreichen endlich die berühmte Stadt. Doch dort wird Tirasan bei seiner Ankunft angeklagt, einen falschen Namen zu führen, was bei Todesstrafe verboten ist. Tirasan droht die Hinrichtung, wenn er nicht beweisen kann, dass er seinen Namen durch Namensmagie erhalten hat.
Nicole Godzek hat hier eine Welt erschaffen, die mich zutiefst verstört hat. Eine Welt ohne familiäre Bindungen finde ich erschreckend. Man kennt weder seine Eltern noch seine Geschwister. Man weiß nicht, wo man herkommt, man hat keine Vorbilder, denen man nacheifern kann und in der Schule lernt man, dass es am wichtigsten ist, alle großen Dynastien zu kennen.
Spitznamen sind bei Strafe verboten, wer einer Nummer einen Spitznamen gibt, sei er noch so abwertend oder abscheulich, wird hart bestraft. Seinen Namen vor der Namensmagie zu erfahren gilt als Unglück und führt oft in den Wahnsinn. Daher geben Namensfinder ihre Kinder meist noch früher ab als normale Menschen, sie könnten sich versprechen und ihr Kind beim Namen nennen.
Tirasan und seine Freunde wohnen einer sehr grausigen Zeremonie bei, bei der einer Frau ihr Name entzogen wird, weil sie ihr Kind versteckt und ihm heimlich einen Namen gegeben hat. Ohne Namen hat man keine Existenz, man vergisst, wer man war und vegetiert nur noch vor sich hin. Tirasan erachtet dies als grausame Strafe, die Welt entpuppt sich für ihn nicht als der Ort, den er sich vorgestellt hat.
In meinen Augen ist es überhaupt eine sehr grausame und ungerechte Welt. Das Schicksal ist vorherbestimmt, man muss seinen Namen annehmen und akzeptieren und die Rolle ausfüllen, die der Namen einem vorgibt. Möglichkeiten zur Veränderung sind nicht gegeben, eigene Wünsche und Träume zählen nichts. Für mich ist das kein Leben, es gibt keinerlei Freiheit der eigenen Entscheidung. Man beschreitet den vorgeschriebenen Pfad und dort bleibt man bis an sein Lebensende.
Auch wenn ich das Buch zögerlich begonnen habe, hat es mich letztendlich ungemein gefesselt. Ich war ebenso neugierig wie die Gefährten, was Tirasans Name bedeutet und welche Position  er in der Gesellschaft einnehmen wird.
Die Autorin hat hier sehr viele eigene Begriffe eingeführt, die aber im Zusammenhang verständlich werden. Zudem gibt es einen Anhang, in dem die Begriffe ausführlich erklärt werden. Auch eine Übersicht der Dynastien und ihrer Wappen gibt es, eine schöne Ergänzung. Im vorderen und hinteren Einband befinden sich noch schön gestaltete Karten der Welt, so dass wir die Reise der Freunde mitverfolgen können. Dnn im Laufe der Reise werden es Freunde, auch wenn Bora sich das zuerst nicht eingestehen will. 
 
Fazit:
Ich habe Mirabortas gerne besucht aber es ist keine Welt, in der ich Leben möchte. Eine spannende und ungewöhnliche Geschichte, die einem bewusst macht, was für eine wunderbare Welt wir eigentlich haben. Ein Junge auf der Suche nach sich selbst und seinem Platz in der Gesellschaft.
 
Titel: Magie der Namen
Autorin: Nicole Godzek
Verlag: Piper/Ivy Print, HC, 362 Seiten
ISBN: 9783492703871

 

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