Musikalische Fluchten

03 Mai 2023

Die Nacht des Mondbogens von Joachim Sohn (illustriert von Holger Much)

 

Ende der 60er Jahre. Die Witwe Irene Beaudoire verbringt ihren Lebensabend damit, heimatlosen und verwahrlosten Tieren eine Heimat zu geben. Ihr Mann Frederic ist im ersten Weltkrieg gefallen, ihre Tochter ist fortgezogen, so bleiben ihr nur ihre Katze Bavette und ihre Erinnerungen.
Als ihr Mann nicht aus dem Krieg zurück kam wollte Irenes Vater sie zwingen, erneut zu heiraten. Doch Irene weigerte sich, studierte Lehramt und unterrichtete bis zu ihrer Rente Geschichte am örtlichen Lyzeum. 
Irene ist eine rationale Frau, die mit beiden Beinen fest im Leben steht. Nur wenn der Vollmond am Himmel strahlt und es leicht regnet, geht sie hinaus um die Mondscheinbrücke zu betrachten. Es geht die Legende, wenn das Licht des Mondes sich in den Regentropfen spiegelt bildet sich ein Mondbogen und es kommen Tiere aus einer anderen Welt zu uns.  Irene weiß natürlich das dies nur eine Legende ist, bis eines Tages ein Rabe neben ihr Platz nimmt, der ein Medaillon um den Hals trägt. Irene öffnet neugierig das Schmuckstück und damit ändert sich ihr Leben.

Kommentar:
Ich habe dieses Buch ohne Erwartungen entgegengenommen.
Ich kenne einige Bücher von Joachim Sohn, sie sind teils etwas verrückt, immer abenteuerlich und spannend. Dieses Buch ist anders. Es wird sicherlich bei meinen Highlights 2023 auftauchen, denn es hat mich tief im Innersten berührt. Ich gebe zu, ich habe Joachim eine so zarte und feinfühlige Geschichte nicht zugetraut und ich entschuldige mich für diese Fehleinschätzung bei ihm.
Wie schon in dem Buch »die Schatten von Sev-Janar von Anke-Höhl Kayser« geht es in diesem Buch und Trauer und Verlust. Das Leben, ihr Beruf und ihre Tochter haben Irene ausgefüllt doch jetzt, im Alter und in ihrer Einsamkeit, treiben diese Gefühle wieder an die Oberfläche. Ich habe eine 90jährige Freundin, deren Cousin im zweiten Weltkrieg gefallen ist. Niemand weiß, wie er gestorben und wo und diese Frage treibt sie jetzt, im Alter, wieder um. So ergeht es auch Irene. Sie hat nie erfahren, was mit ihrem Mann passiert ist und wo und unter welchen Umständen er gefallen ist.
Der Wiederaufbau, die Erziehung ihrer Tochter und ihr Beruf als Lehrerin ließen keinen Platz für Trauer. Wir nachfolgenden Generationen wissen nicht zu schätzen was diese Generation geleistet hat. Irene hat zwei Weltkriege erlebt und überlebt, ebenso wie ihr alter Freund Gustave. Sie hat beim Wiederaufbau des Landes mitgeholfen, Entbehrungen erlitten und ist doch ihren Weg gegangen, hat ihr Ziel, Lehrerin zu werden, erreicht. Der Respekt und die Wertschätzung für diese Generationen sind leider verloren gegangen. Ihre Leistungen, von denen wir nun profitieren, werden nicht anerkannt, im Gegenteil, die Nutznießer dessen was damals alles erreicht und erarbeitet wurde, schimpfen nur über diese Generation.
Als Irene nachts auf der Parkbank sitzt und den Mondbogen betrachtet, ahnt sie noch nicht, dass ihre unerfüllte Sehnsucht über diesen Bogen treibt. Und als Antwort erscheint ein Rabe.  Durch diese Begegnung beginnt sie nun Fragen zu stellen. Was ist damals im ersten Weltkrieg wirklich passiert? Wo war die Einheit ihres Mannes stationiert? Gibt es Unterlagen dazu? Fragen, die sie bisher nie laut gestellt hat. Ihr Freund Gustave, der damals mit Frederic im Krieg war, hilft ihr, diese Fragen zu beantworten und er musss sich dabei seiner eigenen Vergangenheit stellen. Mir hat fast das Herz geblutet als er Irene von damals erzählt. Soviel Leid, Kummer und Scham, dass man überlebt hat während die Kameraden gestorben sind. Der Rabe, den Irene Jacques Schroeder nennt, ermöglicht es Irene, endlich Antworten zu finden.
Der Schreibstil von Joachim Sohn ist direkt  und schnörkellos ohne falsche oder übertriebene Dramatik. oder blendende Effekte. Einfache Worte für eine einfache Lebensgeschichte, nichtsdestotrotz wunderschön. Gerade diese Schlichtheit lässt die Geschichte noch intensiver wirken.
Das Cover und die Illustrationen runden das Buch perfekt ab und Worte und Bilder harmonieren wunderbar. Wenn man das Buch durch die Finger laufen lässt  (am Schnitt schnell blättert)  , sieht man den Raben auch fliegen, ein kleines Bonbon, dass man erst entdecken muss
Ich habe das Buch als Rezensionsexemplar erhalten aber Joachim Sohn weiß, dass ich keine Gefälligkeitsrezensionen schreiben. Eher schreibe ich keine. Meine Meinung ist subjektiv aber sie kommt von Herzen. Danke für diese schöne Geschichte.
 
Fazit:
Bild und Wort gehen eine perfekte Symbiose ein und die Geschichte berührt das Herz. Hut ab vor Joachim Sohn und Holger Much, die zusammen  etwas außergewöhnliches geschaffen haben. Ein Buch. für alle Menschen, die noch träumen können.
 
Titel: Die Nacht des Mondbogens
Autor: Joachim Sohn
Illustrationen: Holger Much  
Verlag: Edition Outbird, TB, 204 Seiten
ISBN: 9783948887438

6 Kommentare:

  1. Vielen Dank für diese wunderbare Rezension - und das Wahrnehmen des Illustrators🙏🏼🥰. Danke!

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  2. Schönen guten Morgen!

    Ich hab das Buch bisher noch gar nicht wahrgenommen und bin jetzt sehr froh, dass du es vorstellst! Das Cover sieht schon so wunderschön aus - und der Klappentext ist hier tatsächlich mal gelungen und macht sofort neugierig!
    Auch deine Beschreibungen klingen total schön und das Buch wandert auf jeden Fall auf die Wunschliste :)

    Liebste Grüße, Aleshanee

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    1. Args, jetzt sehe ich dass du für die Beschreibung einen eigenen Text geschrieben hast! Der ist ja viel viel besser als der Klappentext (der schon wieder zu viel verrät!)

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    2. Das mache ich eigentlich immer, es gibt nur seltene Ausnahmen, dann schreibe ich aber dazu das es der Klappentext ist

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    3. Ich hab das irgendwann aufgegeben, weil ich eh schon so viel Zeit brauche für die Rezensionen selber...
      Aber deine Beschreibung ist hier wirklich total super - ganz im Gegensatz zum Klappentext ^^

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  3. Guten Morgen Petra!

    Deine schöne Rezension zu dem tollen Buch hab ich heute gerne auch in meiner Stöberrunde erwähnt :)

    Ein schönes Wochenende!
    Aleshanee

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