Musikalische Fluchten

13 August 2022

Germania von Harald Gilbers

 

Es ist das Jahr 1944 Berlin. Hitler träumt noch davon, die Stadt in »Germania« umzutaufen und er glaubt noch fest an den Endsieg. In dieser größenwahnsinnigen Atmosphäre lebt der ehemalige Kriminalkommissar Richard Oppenheimer. Da er jüdischer Abstammung ist, wurde er aus dem Dienst entlassen, der Deportation konnte er nur entgehen, weil seine Frau arischer Abstammung ist. Das Ehepaar lebt zusammen mit anderen Juden in einem  sogenannten »Judenhaus« in ständiger Angst vor den Übergriffen der Nazis. 
In dieser Zeit geht ein Serienmörder in Berlin um und tötet junge Frauen. Hauptsturmführer Vogler wird mir der Untersuchung der Morde beauftragt. Der SS Mann kommt mit der Aufklärung der Morde nicht weiter, das Misstrauen, der Neid und der Konkurrenzkampf innerhalb der SS, der NSDAP und den anderen Gruppen ist immens, so dass Vogler einen überraschenden und unerwarteten Weg geht. Er bittet bzw. befiehlt RichardOppenheimer, ihn zu unterstützen. Abgesehen von den vielen Privilegien, die dem ehemaligen Ermittler das Leben erleichtern, ist dieser auch viel zu sehr Kommissar, um sich dem Befehl zu verweigern. 
Doch was ist, wenn der Täter ein linientreuer Nazi ist? Wird man Oppenheimer gewähren lassen oder wird der Fall vertuscht?

Kommentar: 
Wie bei so vielen Büchern, die ich abseits meines Lieblingsgenres lese, bin ich auch auf dieses Buch durch die »top ten thursday«  aufmerksam geworden. Ich kannte schon die Berlin Trilogie von Philipp Kerr mit seinem etwas gewöhnungsbedürftigen, zynischen und teilweise frauenverachtenden Privatdetektiv Bernie Gunter. Richard Oppenheimer ist da allerdings von einem ganz anderen Kaliber und »Germania« hat mir sehr gut gefallen. Harald Gilbers ist es gelungen, die damalige Atmosphäre sehr gelungen einzufangen und zu schildern. Berlin war und ist schon immer eine Stadt, die anders ist und das merkt man in diesen Krimi sehr deutlich. 
Richard Oppenheimer sitzt hier zwischen allen Stühlen: Seine Frau Lisa ist eine Arierin, er leidet darunter, dass sie wegen ihm auf alles verzichten muss. Das Leben im Judenhaus ist nicht einfach, es gibt keinen Luftschutzbunker, die ihnen zugewiesenen Rationen sind rar und den Übergriffen der Nazis haben die Bewohner nichts entgegen zu setzen. Als Hauptsturmführer Vogler auftaucht scheint sich das Leben der Oppenheimers zum besseren zu wenden. Um die Ermittlungen nicht zu erschweren, darf Oppenheimer seinen Judenstern entfernen, er bekommt Lebensmittel zu essen, an die er sich kaum noch erinnern kann und natürlich Kaffee. Aber er weiß auch, dass er nach Aufklärung der Mordserie für die SS entbehrlich ist und sicherlich liquidiert werden wird. Daher nimmt er den Vorschlag einer guten Freundin an, sich nach einem Fluchtweg umzusehen. 
Obwohl die Handlung alles in allem sehr düster ist und das Szenario berückend, kommt die schnodderige Schanze der Berliner durchaus auch zum tragen. So nennt Hilde, eine gute Freundin Oppenheimers, die Damen der Gesellschaft »Nazissen«. 
Ich persönlich fand die Details zu der Organisation Lebensborn e.V. sehr bedrückend. Zitat: »erklärtes Ziel von Lebensborn war es, die arische Rasse zu stärken und Kinder mit möglichst arischem Blut zu produzieren.« Und auch die Scheinheiligkeit der damaligen Menschen ist erdrückend. Zitat: »Was mich angeht, sind sie bis zur Beendigung der Untersuchung von der Zugehörigkeit zum jüdischen Volk suspendiert. Bis dahin sind Sie als Arier zu behandeln.« 
Oppenheimer tappt in die Falle zu glauben, dass er dadurch ein freier Mann wird. Doch im Judenhaus muss er den Judenstern wieder anbringen und als eines Tages bei der Ermittlung des Falles vergisst, den Stern zu entfernen, wird er schnell  wieder mit der erbarmungslosen Realität konfrontiert. 
Harald Albers ist es gelungen, glaubhafte und teilweise sehr ambivalente Figuren zu schaffen. Natürlich möchte man Vogler hassen aber er hat durchaus seine menschlichen Momente, angepasst an die damalige Zeit. Hilde unterstützt Oppenheimer wo es nur geht und sie ist es auch, die ihn zur Flucht überreden kann. Mit Lisa bin ich nicht warm geworden. Oppenheimer geht zu sehr in dem Fall auf, vernachlässigt seine Frau und vergisst oft, sich bei ihr zu melden. In seiner Besessenheit, den Fall zu lösen, bekommt er nicht wirklich mit, was um ihn herum in Berlin vorgeht. Lisa ist mir dabei zu nett, zu verständnisvoll. Aber das ist rein subjektiv. 
Die Vorgehensweise des Mörders ist sehr brutal und die detailreichen Schilderungen der Verstümmelungen sind nicht für jedermanns Gemüt. Für mich waren sie aber tatsächlich nur ein Nebenaspekt, da mich der historische Kontext und die Beziehung zwischen Vogler und Oppenheimer oder Oppenheimer und Hilde viel mehr interessiert hat. Ebenso die bunte Stimmung in der Stadt als Gerüchte der ersten Niederlagen Berlin erreichen. Und auch das Alltagsbild, das Harald Gilbers hier beschreibt, ist durchaus gelungen und vermag zu fesseln. Der Kriminalfilm war daher für mich eigentlich eher eine Nebenhandlung. Aber, wie gesagt, das ist absolut subjektiv. 
Um einen weiteren Vergleich zu ziehen habe ich mir jetzt den ersten Band von Volker Kutscher bestellt. Wenn ich das Buch gelesen habe, werde ich diese Rezension um einen Vergleich erweitern.
 
Fazit: 
Man darf diese Zeit nie vergessen und schön reden. Wenn solche Romane und Krimis es schaffen, den Leser zu unterhalten aber auch zu erinnern, haben die Autoren und Autorinnen alles richtig gemacht. Zeitgeschichte in einer Form, die jeden Leser anspricht.
 
Titel: Germania 
Reihe: Richard Oppenheimer Band 1 
Autor: Harald Gilbers 
Verlag; Knaur, TB, 533 Seiten 
ISBN: 9783426513705

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