Der Shonunin Duun und der Junge Dorn
leben sechzehn Jahre völlig isoliert in Sheon, einem Landsitz abseits des städtischen
Lebens.
Der Junge kennt niemanden außer seinem
alten Betreuer. Je älter das Kind wird, desto mehr erkennt er die Unterschiede
zwischen sich und seinem Lehrmeister. Dieser verfügt über ein Fell, das den
ganzen Körper überzieht, scharfe spitze Zähne und nur vier Finger. Dorn ist
sich aber sicher, dass es in der Stadt noch andere wie ihn gibt und die
äußerlichen Unterschiede nicht von Belang sind. Weder dementier noch bestätigt Duun diese Annahme. Die Ausbildung des Jungen ist hart, fast grausam. Duun möchte
seinen Schützling zu einem Hatani ausbilden, einem Meisterkämpfer, wie er einer
ist. Zu einem Mann, der nur mit dem Verstand entscheidet und sich durch Gefühle
nicht beeinflussen lässt.
Oft muss sich Duun folgenden Satz
anhören: " Du darfst nicht sagen, dass Du es nicht kannst! Du bist so. Die
Welt wartet nicht auf Deine Launen."
Als der Jungen sechzehn Jahre alt ist, müssen
der Meister und sein Schützling Sheon verlassen. In der Stadt angekommen,
stellt Dorn zu seinem Entsetzen fest, dass er das einzige Wesen ist, das anders
ist. Er hat gelernt, die Mimik eines Shonunin zu deuten und er erkennt Angst
und Abscheu in den Mienen seiner Gegenüber. Aber er hat einen Vorteil, er ist
Hatani.
Auf seinen bohrenden Fragen hin
verweigert Duun ihm die Antwort auf seine Herkunft und den Sinn seiner Existenz.
Dorn weiß nicht, welches Wagnis Duun auf sich genommen hat, um ihn großzuziehen.
Doch es kommt der Tag der Prüfung, an
der sich zeigen wird, ob sich dieses Wagnis gelohnt hat.
Kommentar:
Zu Beginn seines Lebens weiß Dorn nichts
von der Einsamkeit und Isolation,die ihn später umgeben wird. Er liebt Duun aus
ganzem Herzen, er kennt nichts anderes als ihn und die Mediziner, die ab und zu
vorbei schauen, um ihn zu untersuchen. Die erste Hälfte der Geschichte umfasst
seine Ausbildung und Erziehung auf Sheon, die erfüllt ist mit Strenge aber auch
mit Liebe. Duun lässt sein altes Leben hinter sich, um den Jungen zu erziehen.
Ihn zum Hatani auszubilden ist ein Risiko aber er weiß, dass Dorn nur als
Hatani akzeptiert werden wird. Ein Hatani erkennt seinesgleichen an, ohne
Vorbehalte, ohne Blick auf die Herkunft oder Vorgeschichte. Doch die Ausbildung
ist hart, immer wieder fordert er den Jungen heraus, stellt ihn vor fast
unlösbare Aufgaben, bis hin zu einem Kampf um das nackte Überleben. Die Autorin
schildert dieses Phase der Entwicklung des Jungen mit sehr gefühlvollen und
warmherzigen Worten. Der Leser sieht förmlich, wie diese zwei sehr
unterschiedliche Wesen ohne Vorurteile und Scheu eine Bindung eingehen, sich so
akzeptieren, wie sie sind, ohne die Unterschiede zwischen sich als Hindernis
ihrer Freundschaft zu sehen.
Diese Phase der Ausbildung endet, als
Duun mit Dorn in die Stadt zurückkehrt. Der Junge, der das freie Leben in der
Natur gewöhnt ist, vermisst die Düfte und Geräusche des Waldes. Er fühlt sich fremd in der Stadt, in
der die Behausungen 'zig Stockwerke hoch sind und in den Räumen nur eine
Illusion eines Waldes oder eines Meeres erzeugt wird. Er fühlt sich eingeengt
und fremd. Dieses Gefühl verstärkt sich noch, als er seine Mitschüler
kennenlernt. Diese wurden gezielt ausgewählt, um ihm zu helfen aber auch, um
ihn zu beschützen. Dorn spürt ihre Abneigung und ihre Furcht. Auch wenn sie
diese Gefühle nach und nach ablegen,
bleibt er ein Außenseiter. Bis er Sagot trifft, die älteste Shonunin, die er je
getroffen hat. Mit ihrer Weisheit und ihrem Verständnis gewinnt sie das Herz
und die Zuneigung des Jungen. Bei ihrer ersten Begegnung sagt sie: " Ich
denke, Du schätzt Dich selbst nicht richtig ein. Es ist schön und gut ein
Hatani zu sein aber Du bist nicht nur
das, weißt Du, genauso wenig, wie Du nur diese beiden Augen bist oder diese
beiden Hände. Du weißt, dass ein Hatani vieles kann aber wenn andere Dinge
auftreten - nun, die Vernunft kann nicht alles lösen."
Sie erzählt ihm von den Sternen, von
Monden und anderen Planeten und nach und nach nimmt sie die Stelle von Duun ein,
von dem sich Dorni immer mehr entfremdet. Zu seinem Entsetzen beginnen die medizinischen Untersuchungen, die er
als Kind über sich ergehen lassen musste, erneut. Sie sind anders und schlimmer
als früher, sie bescheren ihm Schmerzen und seltsame Träume doch stets ist
Sagot da um ihn zu trösten und aufzumuntern. In Gegenwart seines alten
Lehrmeisters kann und darf er seine Gefühle nicht zeigen, denn ein Hatani lebt
nur mit dem Verstand. Trotzdem kann Duun in Dorn lesen, wie in einem Buch, er
kennt den Jungen zu gut und obwohl ihn der Schmerz und der Kummer nicht
unberührt lassen, spricht er niemals Trostworte. Er stellt ihn für immer neue
Herausforderungen und sagt nur: "Du darfst nie sagen, dass Du es nicht
kannst".
Je älter Dorn wird, desto mehr erkennt
er, dass nicht alle Shonunin mit der Entscheidung Duuns einverstanden sind, ihn
zu erziehen. Politische Gruppen, die um eine Vormachtstellung ringen, versuchen
ihn zu diskreditieren, sogar ihn zu ermorden. Das zwingt Duun früher zu seinem
finalen Schritt, der offenbart, welchen Sinn die Existenz Dorns hat.
Mich hat diese Erzählung ungemein
gefesselt und berührt. C.J. Cherryh schreibt diese Geschichte zuerst aus der
Sicht Duuns, später auch aus der Sicht des Jungen. Das ist nur logisch, denn
Duun könnte dem Leser niemals die Gefühle und Empfindungen vermitteln, die Dorn
durchlebt.. Er ist Shonunin und Hatani und somit und völlig fremd. Die Hatani gleichen den
Samurai des alten Japan, die für Ehre, Stolz und Aufopferung leben.
Nichtsdestotrotz ist seine Zuneigung zu dem Jungen spürbar, was zuerst
lediglich eine Aufgabe war, wird zu einer Freude.
Die Geschichte kommt sehr ruhig daher,
das Zusammenspiel der beiden Charaktere liegt im Vordergrund, ihre Gedanken,
Gefühle und Motivationen werden geschildeter. Es passiert nicht viel und
tatsächlich hat die Geschichte auch absolut nichts mit dem Klappentext zu tun.
Ich weiß nicht, wer dieses Text verfasst hat, er führt in die Irre und daher
sind sicherlich einige Leser enttäuscht, die etwas anderes erwartet haben. Es
finden keine Raumschlachten statt, es gibt keine feindseligen Aliens, die
besiegt werden müssen und keine fortschrittliche Technologien. Erst ganz zum
Schluss des Buches wird deutlich, auf was der Klappentext abzielt.
Das Buch hat mittlerweile über 30 Jahre
auf dem Buckel aber die Erzählung ist zeitlos. Obwohl es mit enemy mine
verglichen wird, finde ich den Vergleich nicht passend. Denn dort begegnen sich
zwei Rassen schon als Feinde, während das Verhältnis zwischen Duun und Dorn
eher familiär ist. Da Dorn in Isolation aufwächst hat er gegenüber der
Andersartigkeit seines Erziehers keinerlei Vorurteile und auch er erfährt
zuerst keine Ressentiments.
Der Schreibstil der Autorin ist etwas
gewöhnungsbedürftig aber ich mag ihn. Schnörkellose einfache Sätze, keine
unnötigen Ausschmückungen und Abschweifungen. Eine Grande Dame der Science
Fiction der siebziger und achtziger Jahre, die man durchaus mit Ursula K.
LeGuin vergleichen kann.
Das Buch beinhaltet zahlreiche
schwarzweiß Illustrationen von Jon Stewart, die wunderbar zu dieser Geschichte
passen. Das Cover entspricht dem Stil der frühen achtziger Jahre und zeigt Duun
zusammen mit Dorn.
Es gibt mittlerweile eine Neuauflage als
Ebook, ich habe jedoch die alte Ausgabe von 1988 gelesen und kann daher nicht
sagen ob die Geschichte unter einer Neuübersetzung gelitten hat, wie leider so
manch anderes ältere Buch (z.B. Joe Halderman)
Titel: Das Kuckucksei
Autor: C.J. Cherryh
Verlag: Heyne, TB, 282 Seiten
ISBN: 9783453027507
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